(zuerst gedruckt 1793), ist ein ziemlich unbedeutender, auch wieder mit viel eintönigem Räsonnement durchsetzter Roman; und dasselbe scheint von. dem unter dem Namen „Les crimes de l’amour“ zusammengefassten Novellenzyklus zu gelten, woraus mir allerdings nur eine („Juliette et Raunal, ou la conspiration d'Amboise, nouvelle historique“) aus eigener Lektüre bekannt ist. Man findet sie in dem 1881 bei Gay und Doucé in Brüssel anonym erschienenen Werke „Le Marquis de Sade“, das ausserdem noch eine daran knüpfende Abhandlung über den Roman („Idée sur les romans“) und eine gegen einen missgünstigen Kritiker, Villeterque, gerichtete Schmähschrift („L’auteur des crimes de l’amour à Villeterque folliculaire“) sowie die schon erwähnte, in der section des piques zur Leichenfeier Marats und Lepelletiers gehaltenen Rede enthält. Alle diese Schriften zeigen nur, dass de Sade über die Gabe eines mittelmässigen Skribenten - die Kunst, langweilig zu schreiben - in ziemlich hohem Grade verfügte, und ausserdem, dass er es zweckmässig fand, wenigstens in der Zeit, wo er die „Idée sur les romans“ erscheinen liess, die ihm zugeschriebene Autorschaft der Justine hartnäckig zu leugnen. Dass es ihm dabei auf einen Haufen der handgreiflichsten und fadenscheinigsten Lügen nicht ankommt, wird uns bei der ganzen sonstigen Eigenart des Mannes schwerlich befremden.

Der „moralische“ Standpunkt (sit venia verbo), den de Sade in seinen Hauptwerken, wie auch in der „Philosophie dans le boudoir“ einnimmt - sofern es erlaubt ist, im Sinne der alten Moralisten von einem, solchen zu reden -, ist der einer Art Antimoral, einer Teufelsmoral, die in Inhalt und Tendenz seines grossen Doppelwerkes erschöpfend zum Ausdruck gelangt und auf die schon die Titelbezeichnung gleichsam präludierend hinweist. Das beständige Unglück, das die „Tugend“ mit Naturnotwendigkeit zu erleiden hat, und das Glück, das dem „Laster“ ebenso naturgemäss erblüht, ist ja das Hauptthema, das durch alle zehn Bände in allen erdenklichen Variationen durchgeführte, in Handlung umgesetzte und mit weitschweifigen Kommentaren erläuterte Leitmotiv der gesamten Komposition. Die Begriffe „Tugend“ und „Laster“ werden dabei ganz im alten, landläufigen Sinn genommen; doch geschieht das, möchte man sagen, mit einer Art unfreiwilliger Selbstpersiflage: denn auf jenem vorgeschobensten Standpunkte mechanistischer Weltauffassung, wie ihn de Sade einzunehmen behauptet, gibt es, im Grunde genommen, weder Tugend noch Laster; die Moralbegriffe „gut“ und „böse“ existieren einfach nicht, da sie in dem alles umfassenden Begriff des mechanisch bedingten Naturgeschehens ihre Auflösung finden. Davon aber, dass er in diesem Sinne eigentlich gegen Gespenster ficht, merkt der Verfasser in seinem antimoralischen Fanatismus so wenig wie von der Absurdität des selbstgefällig zur Schau getragenen Gotteshasses und der Gottesfeindschaft neben seinem auf Schritt und Tritt feierlichst als unumstössliches Dogma verkündeten materialistischen Atheismus. Ein ungeheurer Eifer wird an unzähligen Stellen darauf verwendet, zu deduzieren, dass das sogenannte „Böse“ keineswegs verwerflich, weil nicht gegen die Natur, vielmehr ganz deren

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