störung entsprechen, die sich lediglich durch eine krankhafte Umwandlung, eine Perversion der natürlichen sittlichen Antriebe und Gefühle und durch eine daraus entspringende Neigung zu unsittlichen Handlungen, ohne sonstige Störungen der Intelligenz, charakterisierte. Wir meinen jetzt, dass es einen „moralischen Wahnsinn“ in diesem Sinne, eine solche partielle, rein affektive Form der Seelenstörung nicht gibt, dass vielmehr immer und überall die auf angeborener Anlage beruhende Abschwächung der Intelligenz, nur in einem Falle mehr’, im anderen minder ausgesprochen, nie aber gänzlich fehlend, neben der Gefühlsstörung hervortritt und dass es sich demnach um Fälle angeborenen Schwachsinns, meist auf degenerativer Grundlage handelt. Es spricht manches dafür, dass ein derartiger Zustand bei de Sade vorgelegen haben mag: die schweren Perversitäten des Geschlechtslebens, die Lügenhaftigkeit, der anscheinend nicht fehlende Hang zu herumschweifendem Leben, auch die immerhin auffällige Urteillosigkeit hinsichtlich der Folgen, die so unverhüllt gleichsam am hellen Tageslicht sich abspielende Skandalaffären, wie die früher erwähnten, für ihn denn doch bei aller Protektion schliesslich nach sich ziehen mussten. Das und noch manches andere lässt sich wohl in dieser Richtung verwerten; doch bleibt das biographische Material immerhin, namentlich für den früheren Entwickelungsgang de Sades, ungenügend und, wie aus dieser Darstellung hervorgeht, im einzelnen auch zu widersprechend, um ein alle Zweifel ausschliessendes psychiatrisches „Gutachten“ darauf zu begründen.

Die Schwierigkeit wächst noch dadurch, dass solche Formen angeborenen Schwachsinns, die sich durch Anomalien der sittlichen Gefühle und daraus entspringende Handlungen vorwiegend charakterisieren, erfahrungsgemäss nicht immer im ununterbrochenem Flusse oder gar in gleichmässig stetigem Anschwellen das ganze Leben hindurch verlaufen, sondern sehr häufig Perioden verhältnismässiger Ruhe und scheinbarer Besserung mit Perioden der Steigerung und Wiederverschlimmerung abwechselnd darbieten. Andeutungen solcher Wechselperioden, die aber wegen des unzulänglichen Materials doch nicht scharf umrissen genug hervortreten, machen sich auch in dem Lebensbilde de Sades einigermassen bemerkbar. Daneben mag - wofür auch die früher mitgeteilte Beobachtung zu sprechen scheint - in den letzten Lebensjahren ein Übergang in jene dem Greisenalter eigene, auf Rückbildung des Gehirns beruhende Form der Demenz als nicht ausgeschlossen gelten.

So werden wir denn unser Endurteil in dieser Beziehung dahin zusammenfassen: es kann vielleicht über den Punkt Meinungsverschiedenheit herrschen, ob de Sade bis in sein höheres Alter hinein von einer bestimmten Form geistiger Störung befallen, ob er im landläufigen Sinne „geisteskrank“, im rechtlichen und gerichtsärztlichen

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