Zur speziellen Symptomatologie und Entwickelungsgeschichte der algolagnistischen Phänomene.

Notzucht, Lustmord, Mädchenstecherei, Nekrophilie.

Während „Lustmord“ und „Leichenschändung“ (Nekrophilie) vorzugsweise, wenn auch nicht ausschliesslieh als sadistische und von typischen Sadisten begangene verbrecherische Akte in Betracht kommen, ist davon bei der gewaltsamen, gesetzwidrigen Vollziehung des Beischlafes, die die heutigen Strafgesetzbücher als „Notzucht“ (franz. viol, engl. rape) charakterisieren, natürlich keineswegs in allen oder doch nur in den meisten Fällen die Rede. Notzuchtsattentate, Stuprationsakte, können von ganz anderer als sadistischer Seite und aus ganz anderen als algolagnistischen Motiven und Impulsen begangen werden. Es kann, wie wohl zumeist bei idiotischen oder kriminell veranlagten oder unter Alkoholwirkung stehenden Individuen, sich um Öffnung des zu lange verschlossen gehaltenen Ventils, um eine gedankenlos brutale Stillung des Geschlechtsbedürfnisses in dem von Horaz geschilderten kritischen Momente: „tument tibi quum inguinamalis tentigine rumpi?“ handeln; oder um eine als selbstverständlich betrachtete schonungslose Ausnützung der durch Zufallsgunst sich bietenden Situation, wie etwa beim Treiben der Lanzknechte früherer Zeit in gewaltsam eroberten Städten; es mag ein mit kühlem Blut verübtes Verbrechen, die Laune eines Wüstlings, oder ein Exzess wirklicher erotischer Leidenschaft vorliegen; es mag sogar die Tat sich in das Gewand eines Racheakts hüllen, wie die Stupration Lavinias durch Chiron und Demetrius in Shakespeares Titus Andronicus. Alles das hat mit algolagnistischen, im engeren Sinne sadistischen Triebfedern nichts zu schaffen. Der Sadist sucht bei Begehung der Notzucht, der Stupration nicht sowohl die Befriedigung seines allgemein oder einem bestimmten Individuum gegenüber irritierten Geschlechtstriebes, oder diese Befriedigung wenigstens nicht unmittelbar, sondern zunächst und vor allem den (physischen und moralischen) Schmerz, die schmachvolle Erniedrigung und Misshandlung seines Opfers. Erst aus dieser quillt ihm selbst die geschlechtliche Erregung und Lustbefriedigung, die daher unter Umständen gar nicht einmal so sehr der Beischlafsvollziehung selbst als der präparatorischen Akte dazu, oder der mannigfaltigsten begleitenden und komplizierenden Gewalthandlungen bedarf. Der echte Sadist würde in jedem Falle den unerlaubten und gewaltsam erzwungenen Beischlaf dem freiwillig gewährten, legitimen vorziehen, ja letzteren überhaupt als wertlos ver-

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