Aktive und passive Flagellation (Flagellantismus)

Die als Geisselsucht, Flagellationsmanie, Flagellantismus zu bezeichnende Form psychosexualer Verirrung umfasst ein so ungeheueres Gebiet und ihre, in neuester Zeit, wenn nicht vermehrte, doch in grösserem Umfange reproduzierte und zugänglicher gewordene Literatur ist bereits so unabsehbar, dass eine keineswegs erschöpfende, nur den Gegenstand einigermassen umfassende Darstellung weit über den Rahmen dieser Abhandlung hinausgreifen, ja eine eigene Monographie erfordern würde. Ich verweise auf die als Anhang folgenden, eine auch nur relative Vollständigkeit anstrebenden Literaturangaben, und muss mich hier damit begnügen, einzelne der gerade für das Verständnis algolagnistischer Vorgänge hauptsächlich in Betracht kommenden Seiten des Gegenstandes kurz zu erörtern.

Dass die passive Flagellation als ein mächtiges sexuelles Stimulans und Aphrodisiakum (für den flagellierten Teil) zu betrachten sei, ist eine jedenfalls recht alte - wenn auch vielleicht nicht, wie man angenommen hat, bis in das graue Altertum hinaufreichende - Erfahrung. Den Indern war die Flagellation in diesem Sinne allerdings wohlbekannt und geläufig (vgl. S. 12). Dagegen finden sich meines Wissens bei den Schriftstellern des gräko-romanischen Altertums keine ganz sicheren Spuren, die auf Bekanntschaft mit der Flagellation als einem Aphrodisiakum hinweisen (während bei einem Komiker u.a. vorkommt, dass eine Kupplerin ihre Mädchen peitscht, damit sie vollere Hinterbacken bekommen). Vielleicht könnte man die bekannte Stelle bei Petron, wo der wegen Impotenz hinausgeworfene Liebhaber sich bei seiner Dame brieflich entschuldigt und sich zur Sühne erbietet, nackt vor ihr zu erscheinen und sich von ihr schlagen zu lassen, in diesem Sinne auffassen (der Brief kehrte in freier Nachahmung in der histoire amoureuse des Gaules [1665] des Grafen Bussy-Rabutin unter den Liebesabenteuern der Gräfin Olonne wieder). Das 1766 erschienene und vielaufgelegte Machwerk: „über den Gebrauch der Alten, ihre Geliebte zu schlagen“, enthält ein durchweg recht unkritisches und zum Teil kindisches, anekdotisches Sammelsurium. - Wenn, wie schon erwähnt wurde, die Gallen sich zu Ehren Kybeles geisselten, die spartanischen Jünglinge sich am Altare der Artemis Orthia mit Ruten peitschen liessen 1), so handelte es sich dabei zunächst um religiöse, teils unter den Begriff der Selbstpeinigung, der Askese fallende, teils als Opfe-


1) Nach Burckhardt „eine Ausnahme in der ganzen griechischen Welt und eine wahre Schule der Ferozität“ (griechische Kulturgeschichte I, S. 112).

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