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Schlußwort

Burgstaller bietet nun einen konkreten Lösungsvorschlag, dem auch ich mich anschließen kann: "Ist der von einer wirksamen Einwilligung gedeckte Körperverletzungs- oder Gefährdungserfolg für sich genommen nicht als sittenwidrig zu qualifizieren, so ist das für den Rechtfertigungsgrund iS des § 90 ausreichend. Ein sittlich anstößiger Zweck oder Beweggrund der zu einem derartigen Erfolg führenden Handlung schadet nicht."

Der OGH vertritt aber eine gegenteilige Auffassung , er befindet, daß einverständlich zugefügte Verletzungen aus sadistischen oder masochistischen Motiven ganz generell, dh ohne Rücksicht auf den Grad der Verletzung - obwohl die Literatur ganz überwiegend ablehnend dagegensteht - als gegen die guten Sitten verstoßend und damit als rechtswidrig zu beurteilen sind. Diese Ansicht widerspricht nicht nur dem verfassungsrechtlich geschützten Recht auf Freiheit der Selbstbestimmung und der Sexualität, weil dieses sexuelle Verhalten zunächst nur die beiden einvernehmlich Handelnden betrifft und besonders der liberalen Grundkonzepte wegen jeder Bürger zunächst selbst für sein Wohlergehen zu sorgen hat, sondern sie verleitet auch zu unnötigem, ja geradezu verbotenem Moralisieren, da es nicht Aufgabe des Strafrechts sein kann, über die Einhaltung der Sittlichkeit zu wachen. Mag man auch den in manchen Augen so gesehenen Verfall der Sitten bedauern und bekämpfen wollen, das Strafrecht stellt dazu kein taugliches Mittel dar.

Auch scheidet eine strafrechtliche Sanktionierung jedenfalls deshalb aus, weil eine schwerwiegende Schädigung von Gemeinschaftsgütern durch die einverständliche sadomasochistische Verletzung nicht vorliegt und die Aufgabe des Strafrechts nur der Rechtsgüterschutz ist.

Meines Erachtens übersieht der OGH einige wesentliche Fakten. Einerseits haben sich die guten Sitten seit Entstehung des § 90 StGB bzw der zivilrechtlich verstandenen guten Sitten in großem Umfange verändert. Was damals als Verstoß gegen Anstand und Moral aller billig und gerecht Denkender verstanden wurde, ist heute bei weitem anders zu beurteilen.

Als Beispiel dafür möchte ich nur daran erinnern, daß es vor nicht all zu langer Zeit als das Höchste der Gefühle bzw als anstößig betrachten wurde, wenn eine junge Dame ihre Knöchel zeigte (in einigen Texten kann man nachlesen: "......und dann erhaschte ich einen Blick auf ihren Knöchel.......' ). Heute wiederum hat sich die Mode gewandelt und man kann weit mehr als nur die Knöchel betrachten. Daran stößt sich heute niemand mehr. Auch änderten sich die Themen, über die in der Öffentlichkeit gesprochen wird, in großem Umfange. Was damals - zur Zeit der Entstehung des ABGB und der "Gute-Sitte-Klausel", an die sich das Strafgesetzbuch ja anlehnt -, nur hinter vorgehaltener Hand besprochen wurde, wird heutzutage im Nachmittagsfernsehprogramm breit diskutiert.

Andererseits sind die Menschen weit aufgeklärter und bestimmen ihr Leben mehr als früher selbst. Sie wissen über ihre Rechte und Pflichten weit besser Bescheid.

So betrachtet kann eine einverständliche (konkludent oder schlüssig erteilte), gegenseitige (im Einvernehmen beider Partner) gegebene Einwilligung in ein sexuelle Handlung (mag sie auch noch so eigenartig erscheinen und einen - möglicherweise - strafwidrigen Erfolg verursachen) nicht gegen die guten Sitten verstoßen. Der OGH möge mit der Zeit gehen und unter Berücksichtigung der Wandlung der Zeit, der Ziele der Gesellschaft und des moralischen Verständnisses von seiner mehr als zwanzigjährigen Entscheidung abgehen und bei einem konkreten Anlaßfall zeitangepaßt den Weg zu einer neuen Rechtsprechung beschreiten, wobei er auch die herrschende Lehre mit berücksichtigen wolle.

Einen Versuch in diese Richtung war zwar die Entscheidung vom 29.6.1989, 12 Os 17/89, in der über die Straffreiheit an sich leichter Verletzungen im Verlauf eines sadomasochistischen Verkehrs bei Zustimmung des Opfers nachgedacht wird, doch blieb diese bis dato ein Einzelfall.

Einverständliche vorsätzliche oder fahrlässige sadomasochistische Sexualhandlungen stellen daher (im Rahmen des oben besprochenen) zwar eine ungewöhnliche Sexualpraktik, aber kein strafwürdiges Unecht dar.


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2000-10-19