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Der Papiertiger: ICD

 
   
   
   
   
   
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Der Papiertiger ist eine Enzyklopädie des Sadomasochismus, zusammengestellt von Datenschlag. Hier erklären wir Begriffe aus dem SM-Bereich und stellen sie in den Zusammenhang der sadomasochistischen Subkultur und ihrer Traditionen.


Abk. für International Classification of Diseases, Injuries and Causes of Death, ein Diagnoseschlüsselsystem, das 1855 von Wiliam Farr begründet wurde und das WHO zur Klassifikation von Krankheiten dient. Der Schlüssel gilt auch nach 10 Revisionen als unsystematisch und streckenweise praxisfern, die letzte Revision umfasst 14 000 Ziffern auf 1300 Seiten. Sadismus und Masochismus werden als Sadomasochismus im ICD-10 mit dem Code F65.5 belegt (ICD-9: 302.8). Sadomasochismus ist damit laut WHO eine "Störung der Sexualpräferenz", nicht - wie die meisten Sadomasochisten es bezeichnen würden - eine alternative Vorliebe.

Für eine Diagnose einer solchen "Störung der Sexualpräferenz" nach ICD-10 sind folgende Kriterien zu erfüllen:

F65 Störungen der Sexualpräferenz

G1. Wiederholt auftretende intensive sexuelle Impulse und Phantasien, die sich auf ungewöhnliche Gegenstände oder Aktivitäten beziehen.
G2. Handelt entsprechend den Impulsen oder fühlt sich durch sie deutlich beeinträchtigt.
G3. Diese Präferenz besteht seit mindestens sechs Monaten.

F65.0 Fetischismus

A. Die allgemeinen Kriterien für eine Störung der Sexualpräferenz (F65) müssen erfüllt sein.
B. Der Fetisch (ein unbelebtes Objekt) ist die wichtigste Quelle sexueller Erregung oder für die sexuelle Befriedigung unentbehrlich.

F65.5 Sadomasochismus

A. Die allgemeinen Kriterien für eine Störung der Sexualpräferenz (F65) müssen erfüllt sein.
B. Präferenz für sexuelle Aktivitäten entweder als Passiver (Masochismus) oder als Aktiver (Sadismus) oder beides, bei denen mindestens eines der folgenden Charakteristika vorliegt:
1. Schmerzen
2. Erniedrigung
3. Unterwerfung
C. Die sadomasochistische Aktivität ist die wichtigste Quelle sexueller Erregung oder notwendig für sexuelle Befriedigung.

In Deutschland sind seit Anfang 2000 [Chronik: 1. Januar 2000] alle Kassenärzte dazu verpflichtet, den Krankenkassen ihre Diagnose, die sozialen Umstände ihrer Patienten und allen Faktoren, die zu der Erkrankungen geführt haben konnten, in Form der ICD Ziffern mitzuteilen. Theoretisch sollen diese Informationen nur bis zu den kassenärztlichen Vereinigungen zusammen mit den Namen geführt werden; ob der Datenschutz gesichert ist, muss aber als fraglich gelten - eine Sicht, die auch der Bundesbeauftragte für Datenschutz teilt.

Neben streng medizinischen Codes enthält der ICD auch Codes für Dinge wie gesteigertes sexuelles Verlangen oder aufsässiges Verhalten - für alle sexuellen Minderheiten sind Codes wie riskantes Sexualverhalten und die genaue Klassifizierung der sexuellen Orientierung besonders bedrohlich. Es ist zu befürchten, dass die Diagnose Sadomasochismus nicht nur für sich bei den Krankenkassen erscheint, sondern automatisch eine Klassifikation als riskantes Sexualverhalten nach sich ziehen wird.

Da für viele dieser Zustände keine eindeutigen medizinischen Kriterien bestehen und die fortschrittlicheren Diagnosekriterien des DSM in der ICD-10 bisher fehlen, wird die Aufnahme sexueller Präferenzen von vielen Sadomasochisten ohne Leidensdruck als überholtes moralisches Werturteil angesehen. Eine vergleichbare Einbeziehung der sexuellen Ausrichtung in eine psychiatrische Diagnose hat es bei den Störungen der heterosexuellen Vanille-Sexualität nie gegeben - für Homosexualität ist sie seit Jahren aus dem ICD gestrichen.
Die Aufnahme scheint mehr von der Geschichte der Forschung als harten wissenschaftlichen Erkenntnissen geleitet zu sein. Mehrere deutsche SM Organisationen setzen sich zusammen mit dem "Removal of SM and fetish diagnosis - The ICD Project" der "Norwegian Association for Lesbian and Gay Liberation" für eine Änderung des ICD-Schlüssels ein. Aus dieser Zusammenarbeit ist inzwischen das reviseF65-Projekt entstanden.

Datenschlag hat zu diesem Thema einen Text verfasst; er findet sich unter www.datenschlag.org/txt/icd10.htm.

Der ICD-10 ist online unter http://icd.web.med.uni-muenchen.de/cgi-bin2/icd10.cgi verfügbar.

 

Siehe auch: Medizin, Rechtslage

Auf diesen Eintrag verweisen: Ärztliche Schweigepflicht, DSM, F65.5, Fetischismus, Masochismus, Medizin, reviseF65, Sadismus, Vorurteile

Nach ICD suchen in: Google Search  |  Datenschlag  |  Altavista  |  Google Groups

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Stand: 21.04.2003.

 

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