„Sadismus“ wesentlich nur eine krankhafte Steigerung des „normalen“ Geschlechtsverhältnisses, der Eroberung des Weibes durch den Mann - im „Masochismus“ dagegen eine krankhafte Umkehr dieses Verhältnisses zu statuieren. Wenn dem so wäre, könnte der „Sadist“ nicht der als solcher charakterisierte Gegenpol seiner eigenen Persönlichkeit - nicht zugleich „Masochist“ sein, was dennoch häufig der Fall ist - wie Beispiele genug aus Leben und Literatur, und vor allem gerade aus den Werken des denkwürdigsten literarischen Gesamtvertreters aller psychosexualen Perversionen, de Sades, selbst beweisen. Ein bei de Sade besonders beliebtes, häufig angeschlagenes und in theoretischen Exkursen breit ausgesponnenes Thema ist gerade der Gedanke, dass die Marter als solche zugleich Genuss sein kann, dass sie es nicht bloss für den auferlegenden aktiven Theil, sondern - durch eine Art von Autosuggestion - fast ebenso sehr für das erduldende Opfer selbst werden kann; weshalb beide Teile auch bei ihm vielfach nicht abgeneigt sind, die Rollen wenigstens zeitweise miteinander zu vertauschen. Man sehe z.B. Roland, der sich von Justine aufhängen lässt (in Band IV der Justine und die im Vorgenusse bevorstehender Folterung und Hinrichtung schwelgenden weiblichen Opfer: Amélie in Band III der Justine, Juliette und Clairvil in Band II, Juliette und Olympia in Band V der Juliette. Im kleineren Massstabe lehren auch die Erfahrungen beim Flagellantismus dasselbe. Gibt doch schon Baudelaire ähnlicher Wechselstimmung Ausdruck mit dem Gedanken: „Es wäre vielleicht süss, abwechselnd Henker und Opfer zu sein“. (Tagebücher, deutsch von Osterheld, Berlin 1909.) Dass Wollust im erduldeten nicht minder wie im zugefügten Schmerz denkbar und wirksam ist, lehrt ja ohnehin fast auf jeder Seite die Märtyrergeschichte aller Religionen und Kulte - die mit Selbstpeinigung und freiwilliger Selbstverstümmelung einhergehende Ausartung des antiken Heidentums, des Kybeledienstes und anderer vorderasiatischer Kulte so gut wie die Askese der Fakire und Büsser, die Geschichte der Skopzen und verwandter gräkorussischer Sekten, und die Einzelgeschichte ungezählter religiöser Fanatiker. Aus dem freiwillig gewählten Leiden erwuchs ihnen höchste Wonne, die Verzückung des Schmerzes löste sich in Ohnmacht; der Tod selbst, die letzte bleibende Ohnmacht, wandelte sich nicht selten zur Verwirklichung äusserster wollustvoller Ekstase. Für eine krankhaft veranlagte oder in abnorme Richtung gedrängte Empfindungsweise können mit dem Gedanken des Gemartertwerdens und schon mit dem blossen Vorgefühl der zu erwartenden Martern sich eigene, reizvoll prickelnde und stachelnde Emotionen verknüpfen, wie andererseits auch Eitelkeit und Ehrgeiz im wetteifernden standhaften Ertragen der Martern (man denke an die sich zu den Altären der Artemis Orthia drängende spartanische

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