Abgrenzung. Wie leicht kann sich aus dem scheinbar harmlosen Gedankensadisten bei Gelegenheit ein bedenklicher Wirklichkeitssadist entpuppen - während umgekehrt dieser bei der Unmöglichkeit realer Befriedigung oder bei fortschreitendem Verfalle zum delirierenden Gedankensadisten herabsinkt. Einen Typus dieser Art schildert u.a. der Roman „L’échelle“ von Poinsot und Normandy (Paris, Fasquelle, 1901). - Im gewissen Sinne lässt sich de Sade selbst (vgl. den biographischen Abschnitt) hierher rechnen.

Bei der „aktiven“ Algolagnie also haben wir fremden - bei der „passiven“ eigenen, zunächst in der Regel physischen Schmerz übertönt, überkompensiert durch ein Element psychischer Lust, oder geradezu als Quelle eigenartigen psychischen Lustgefühles. In beiden Fällen ist übrigens, wie schon hier bemerkt sein mag, der Begriff des „Schmerzes“ nicht in zu enger Abgrenzung zu fassen; vielmehr ist er zum Unlustgefühle überhaupt zu erweitern, und es ist neben dem physischen ganz besonders der psychische (moralische) Schmerz, wie er z.B. durch tiefste Demütigung, Erniedrigung, Beschimpfung, durch freche Verletzung und Verhöhnung des Schamgefühls usw. erzeugt wird, als meist ebenso wirksamer, wenn nicht wirksamerer lusterregender Faktor mit in Rechnung zu ziehen. Denn auch dies alles kann, so unbegreiflich und so widersinnig es erscheint, verübt oder erduldet gleichermassen zur Quelle psychischen Lustgefühles werden; und so kann der „Masochist“ nicht bloss in den empfangenen Peitschenhieben, sondern noch mehr in der auferlegten Demütigung schwelgen, die Fusszehen oder andere noch unappetitlichere Körperteile seiner „Herrin“ zu lecken, oder ihren Urin zu trinken - während für den „Sadisten“ die gewaltsame Entblössung und schmutzige Besudelung seines Opfers einen noch höheren Affektionswert haben kann, als dessen Misshandlung und Marterung. Von diesem Gesichtspunkte aus sind auch manche scheinbar abliegende Formen sexueller Perversionen und Perversitäten, wie Exhibitionismus, Voyeurtum, Koprophilie und Koprophagie, selbst gewisse Abarten des Fetischismus usw. mit den algolagnistischen Antrieben und Äusserungen der Lustbefriedigung in mehr oder weniger enge genetische Verbindung zu bringen. - Alle diese Dinge müssen uns klar machen, dass wir uns hier auf Gebieten des Seelenlebens bewegen, wo die als naturgemäss geltenden, gewöhnlichen („normalen“) Beziehungen und Verknüpfungen abgerissen, verwirrt, durch neue und fremdartige, den Charakter des Krankhaften an sich tragende Assoziationen ersetzt sind - und dass wir es also mit ihrem Wesen nach als krankhaft zu betrachtenden, primär assoziatorischen Störungen des seelischen Mechanismus, von freilich sehr ungleicher Schwere und Bedeutung im Einzelfalle zu

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