Sadismus und Masochismus in der neuesten Literatur.

Von der namentlich in Frankreich und England schwunghaft betriebenen Literatur, die aus der Ausbeutung der verschiedensten Formen sexualer Perversionen eine Spezialität und, nicht selten, eine pornographische Spekulation macht, soll hier nicht die Rede sein; ebensowenig von jener Hintertreppenliteratur, die den Neigungen ihres Publikums auf das Lüsterne und zugleich auf das Schauerlich-Grausame Rechnung tragen muss und dabei meist mit mehr „gutem Willen“ als mit Geschick ihre Fäden um sensationelle Tagesereignisse und geschichtliche Aktualitäten unverdrossen herumspinnt. Wenn ein Octave Mirbeau im „jardin des supplices“ seine hysterische Sadistin inmitten blühender Gartenparadiese in den grässlichen Folterorgien chinesischer Straf- und Hinrichtungsstätten schwelgen lässt, so haben bei uns die vor elf Jahren so beliebten „Chinesengreuel“ meines Wissens nur in der Kolportage-Literatur eine - allerdings in dieser Hinsicht recht ausgiebige - Verwertung erfahren. Später sind dann die Draga-Romane, russische Revolutionsromane usw. gefolgt. Verschwinden solche Spekulationserzeugnisse auch in der Regel bald genug wieder, so geschieht dies doch nur, um neuen ähnlichen Erzeugnissen Platz zu machen, und im ganzen darf der sittlich gefährdende und schädigende Einfluss dieser Sorte von Literatur auf weite Volkskreise - zumal auf die heranwachsende Jugend - doch nicht unterschätzt werden.

Derjenige Teil unserer deutschen Gegenwarts-Novellistik, der sich von vornherein vorzugsweise an die, wenn nicht „höhere“, doch besser situierte Gesellschaftsschicht, an die Träger und Trägerinnen von „Bildung und Besitz“ wendet - ist freilich auch von einer oft bedenklichen Neigung zu sadistischen Zügen und Schilderungen nicht ganz frei zu sprechen, wovon auch die voraufgegangenen Abschnitte bereits mehrfache Beispiele enthielten. Ich will von den ausgesprochenen und zielbewussten Vertretern derartiger Richtungen ganz absehen, und mich mit einzelnen Stichproben jüngster novellistischer Produktion, und zwar von keineswegs talentlosen Autoren begnügen.

In dem die wohlbekannte Atmosphäre von Berlin W. atmenden, übrigens mit zolascher Energie und Verve geschriebenen Erstlings-

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