die Entwickelungsgeschichte eines Sadisten zu geben versucht; oder sie haben sich wenigstens bemüht, die verschiedenen Etappen des von ihm zurückgelegten Weges, von der grausamen Tierquälerei des Knaben und vom zufälligen Anblick der ersten aufregenden Flagellationsszene bis zu den algolagnistischen Delirien und Halluzinationen, in denen der auf der letzten Sprosse Angelangte einer erträumten Geliebten die scheusslichsten Besudelungen und Misshandlungen zufügt, nach „menschlichen Dokumenten“ zu schildern. - Als ein Seitenstück oder eine Ergänzung dazu darf in gewissem Sinne die Entwickelungs- und Verfallsgeschichte eines Masochisten in dem (anonym erschienenen) Romane „la maitresse et l’esclave“ gelten. Das Buch ist im einzelnen höchst widerwärtig und abstossend; aber nicht übel ist der Grundgedanke durchgeführt, wie der Anstoss zu den späteren masochistischen Verirrungen bei den „Helden“ als acht- oder neunjährigem Knaben durch ein seine Sinnlichkeit zuerst erweckendes Dienstmädchen gegeben wird; wie die damals heraufbeschworenen Gefühle und Vorstellungen dann lange Jahre hindurch anscheinend schlummern, um nach einer langen, konventionell glücklichen Ehe bei dem schon alternden Vierzigjährigen wiederum durch einen zufälligen Anlass jählings hervorzubrechen und nun seinen ganzen Lebensrest mit uneindämmbarer Gewalt zu überfluten 1).

Viel minderwertiger ist der unter dem Gesamttitel „les déséquilibrés de l’amour“ von Armand Dubarry herausgegebene Romanzyklus (wovon einzelne Bände u. a. „coupeur de nattes“ und „les flagellants“ ohne jede künstlerische Erfindung und Darstellung und mit eingestreuten pseudo-wissenschaftlichen, meist nach Krafft-Ebing übersetzten Kompilationen. Vielfach sadistischen Inhalts sind auch die literarisch ebenso minderwertigen Romanfabrikate eines Jean de Villiot, Vaudère, Aléra, Jean Virgans und ähnlicher (vgl. das Literaturverzeichnis am Schlusse). Einzelne sadistische Szenen neben stark erotischen finden sich aber auch bei namhafteren Schriftstellern, wie Catulle Mendès, Dubut de Laforest, Métenier („Madame la boule“), Louys („Aphrodite“ u. a.). Nonce Casanova („Messalina“), Lombard („Byzance“) und anderen, zum Teil schon das pornographische Gebiet bedenklich streifenden Schöpfungen der neufranzösischen erzählenden Muse. -

Die neure sadistische und masochistische Lyrik führt auf Baudelaire zurück, dessen berühmte „fleurs du mal“


1) Man denke an den in mancherlei Beziehung vorbildlichen Kammerherrn und Senator Graf Muffat in Zolas „Nana“!

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