„Ich legte mein schwarzes Gewand von mir
Und löste mit bebenden Fingern mein Haar,
Nackt und zitternd lag ich vor vor dir
Und bot meinen jungen Leib dir dar.

Du entfachtest die schlummernden Brände
In mir zur ekstatischen Inbrunst der Liebe.
Lass mich küssen, mein Fürst, deine grausamen Hände
Für das jubelnde Glück deiner Peitschenhiebe.

Lass mich die schmalen Füsse küssen,
Die meinen Nacken zu Boden zwangen;
Lass mich die harten Stricke küssen,
Die mich quälten wie feurige Schlangen!

Lass mich, mein Fürst, deine Peitsche küssen,
Die mir die Lust der Schmerzen sang,
Lass mich den Sand der Erde küssen,
Der mein Blut mit durstiger Sehnsucht trank.

Wie eine Sklavin lag ich vor dir
Und bot meinen Leib den Martern dar.
Und die tiefste Wollust ward dir und mir
Im Garten der Qualen offenbar.“

Auf dem Gebiete des Dramas sei nur an die aufopferungswütige und von erotischer Mystik durchdrungene Ottegebe in Gerhard Hauptmanns „armem Heinrich“ erinnert, die in der Klause des Paters Benedikt sich geisselt, weil sie nur noch unter den Schlägen atmen kann. Und dem gegenüber wieder Gestalten wie die Heldinnen von Wildes „Salome“ und Wedekinds „Erdgeist“! Der allzu stark, oft fast leidenschaftlich betonte Zug zum Sexuellen nicht bloss, sondern zum Sexuell-Perversen gibt einer grossen Anzahl von Schöpfungen unserer literarischen Gegenwart und jüngsten Vergangenheit ein Gepräge, wie es in solcher Eigenart den unmittelbar voraufgegangenen Literaturepochen doch überwiegend fremd war.

Es liegt mir, dem Arzte, natürlich gänzlich fern, auf die Lebenden wie auf die Toten moralkritische Steine zu werfen; nur nicht achtlos vorbeigehen wollte ich an einem Zuge, der in der literarischen wie in der gesamtkünstlerischen Physiognomie unserer Zeit viel zu scharf und bedeutsam hervorspringt, um ihn in übelangebrachter Prüderie oder in geflissentlicher Verkennung ablehnend zu ignorieren.


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