Entgegengesetzter Natur ist - oder auch vielmehr war - das Liebesideal von Johannes Wedde1). Er sucht stets nach seiner „Lilith“, nach dem Ewig-Weiblichen in der Form grausamer Schrecklichkeit:

„O wo find’ ich Dich? Wo fass’ ich
Dich, Du süsse Folterin?“

Und er redet die endlich Gefundene nach masochistischer Gepflogenheit an mit „Herrin Jungfrau“, und begehrt von ihr, sie möge ihr „kleines Männchen“ fühlen lassen.

„Dass Du ganz nach Herzenslust
Ohne Rücksicht, ohne Milde
Alles mit mir machen kannst,
Alles was sonst nie ein Mensch
Leidet gern an andern Menschen,
Weil ich ein besondrer Mensch
Neben Dir mit eignen Rechten
Nicht mehr bin und nicht mehr sein will -

Nein, allein ein Stück von Dir,
Ja, ein Spiel nur, das Du küssen,
Aber auch zerbrechen kannst,
Ja zertreten und verbrennen,
Ja zerstechen und zerschneiden,
Und am liebsten gar verspeisen.“
-

Ein weibliches Seitenstück zu diesem uns läppisch erscheinenden Poetlein bildet die nicht unbegabte Dichterin des Masochismus, die unter dem Namen „Dolorosa“ ihre Lyrik spendende Autorin der Gedichtsammlung „confirmo te chrysmate“2). Für Geist und Form dieser Dichtungen nur eine Stichprobe mit der (Mirbeau nachgebildeten) Überschrift „le jardin des supplices“, dem Fürsten v. V. - (Man bemerke, wie charakteristischerweise „Liebe“ in der zweiten Strophe einmal nicht mit „Triebe“, sondern mit „Hiebe“ zusammengereimt wird.)


1) Gesammelte Werke, 2 Bände, Hamburg, Hermann Grüning, 1894. - Vgl. Magazin für Literatur, 1896, 9. - Der (1890 verstorbene) Verfasser war zugleich skeptisch agnostischer Mystiker und sozialdemokratischer Agitator! Ein begeisterter Anghänger (Hermann Müller) feiert ihn in einer eigenen Schrift als literarische Grösse und zugleich als Mann von urdeutschem Gemüte.
2) M. Lilienthal, Verlag Berlin 1902.

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