Bisam

Flagellantismus, sexueller (Flagellomanie), nennt man das Geißeln oder Peitschen oder Gegeißeltwerden und Gepeitschtwerden zum Zwecke der geschlechtlichen Erregung. Nach Eulenburg nennen wir derlei durch Schmerz in geschlechtliche Erregung Versetzte »Algolagnisten« (v. griech. algos = Schmerz und lagnaia = Wollust), wobei es gleichgültig ist, ob es sich um »aktive« (Sadismus) oder »passive« (Masochismus) Algolagnie handelt. Bei diesen Praktiken kann es sich teils um vorbereitende, auf Erweckung der Geschlechtslust und der Potenz abzielende Akte, oder um wirkliche Coitus-Surrogate in Form des F. handeln. Zu beiden Zwecken kann sowohl aktiver wie passiver P. dienen. Zumeist liegen die Motive bei dem aktiven F. von Seiten des Mannes nur in der durch die Aktion bezweckten sexualen Erregung. Es wird sich dabei wohl selten um ausgesprochen sadistische Momente handeln, um wirkliche Grausamkeit - wenn auch dieser Faktor nicht immer ausgeschlossen werden kann -, sondern mehr um eine »Art von erotischer Tändelei« (Eulenburg). Tatsächlich spielen dabei, wie aus den Aussagen besonders von Natesfetischisten mit flagellantistischem Einschlag hervorgeht, mehrere Momente sinnlicher Erregung mit: vor allem der Anblick entblößter weiblicher Reize und zwar - bei der gewöhnlichen Art der Flagellation - gerade solcher von gewichtigem Umfang, für die die Natesfetischisten ohnehin eine besondere Vorliebe an den Tag legen. Ferner spielen Reize koloristischer Natur mit eine Rolle, insbesondere die Rötung der Nates. Nach Bloch übt auch der Kontrast der Farben zwischen den nichtflagellierten und flagellierten Stellen eine sexuelle Wirkung aus. Einen weiteren Reiz bilden die starken Bewegungen und Zuckungen, in welche die flagellierten Hinterbacken während der Züchtigung geraten, und die als eine Imitation gewisser Bewegungen beim Coitus aufgefaßt werden können. Diese »wollüstigen Zuckungen« werden auch immer wieder bei der Schilderung von Flagellationsszenen erwähnt. So heißt es in der Polemik Abbé Boileaus gegen die »disciplina secundum sub« (Geißelung der Lenden- und der Gesäßgegend): »Hieraus folgt nun ganz notwendig, daß, wenn die Lendenmuskeln mit Ruten- oder Peitschenhieben getroffen werden, die Lebensgeister mit Heftigkeit gegen das os pubis zurückgestoßen werden und unkeusche Bewegungen erregen. Diese Eindrücke gehen sogleich in das Gehirn über, malen hier lebhafte Bilder verbotener Freude, bezaubern durch ihre trügerischen Reize den Verstand, und die Keuschheit liegt in den letzten Zügen.« Die Flagellation wird auch gerne bei Frauen, die frigid sind, als Sexualstimulans benützt. Eulenburg glaubt, daß die Kenntnis dieses sonderbaren Aphrodisiakums durch arabische Aerzte in Europa eingeführt worden sei, und er erwähnt, daß es ein arabischer Arzt gewesen sein soll, auf dessen Rat die Herzogin Leonora Gonzaga von Mantua sich von ihrer Mutter mit Ruten peitschen ließ, um in der ehelichen Umarmung wärmer zu werden und zu konzipieren. Wie wir ja auch aus der griechischen Religionsgeschichte wissen, daß im Junotempel sterile Weiber sich von den Panpriestern auf die entblößten Hinterbacken peitschen ließen, um fruchtbar zu werden. Bei der von seiten des Mannes erstrebten und geflissentlich empfangenen passiven Flagellation können nun freilich ganz andere Motive ins Spiel kommen, die mit der Sexualität zunächst ganz außer Beziehung zu stehen scheinen: Motive der Demütigung, der Selbsterniedrigung, der Askese, der freiwillig übernommenen Strafe und der freiwilligen Buße. Aber auch bei diesen durch den mystischen Fanatismus der Zeit erzeugten und getragenen Bestrebungen machten sich, wie wir aus der oben, erwähnten Polemik Abbé Boileaus schließen dürfen, schließlich raffinierte sinnliche Ausschweifungen bemerkbar (zum Beispiel bei den heimlichen Geißlersekten des 14. und 15. Jahrhunderts in Deutschland), die zu strengen Verboten von seiten der Kirche führten. Tatsächlich ruft die passive Flagellation, deren Wesen darin besteht, daß heftige Reibungen und Schläge, besonders in der Genitalgegend, speziell auf das Gesäß, einen durch die schmerzhaften Sensationen eigentümlich gesteigerten wollüstigen Reiz hervorrufen, eine rein physische reflektorische Erregung des spinalen und sympathischen Ejakulationszentrums hervor, noch schneller bewirkt dies das Geißeln und Peitschen dieser Teile (die sogenannte »untere Disziplin«). Eine Quelle passiver Flagellationssucht ist auch in dem Mißbrauch des Schlagens zu pädagogischen Zwecken zu suchen, insofern die in der Kindheit und über diese hinaus empfangene Flagellation als Sexualreiz wirken und daher mit erotischen Empfindungen und Vorstellungen von frühauf in enge Ideenassoziation treten kann. Bekannt ist Rousseaus diesen Zusammenhang schildernde Erzählung aus den »Confessions«. [S. auch Ergänzungsband.]

Oskar F. Scheuer: Eintrag "Sexueller Flagellantismus" im "Bilder-Lexikon Sexualwissenschaft" (1930); Details siehe [Sch30e]


© Datenschlag - Alle Rechte vorbehalten. Das Copyright dieses Textes ist abgelaufen, weshalb wir ihn rechtmäßig verwenden dürfen. Das Copyright für die hier vorliegende aufbereitete, korrigierte und kommentierte Onlineversion ist jedoch nicht frei, sondern liegt bei Datenschlag. Links auf diesen Text sind erlaubt und werden begrüßt. Eine Kopie der Seiten in ein anderes Webprojekt ist ausdrücklich nicht erwünscht.

bisam@daten-schlag.org