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Einleitung

Mein Interesse für diese Thema wurde geweckt, als ich in der "Süddeutschen Zeitung"1.1 am 20.2.1997 einen Artikel entdeckte, der mein Rechts- bzw Gerechtigkeitsempfinden berührte. Ich darf diesen Artikel in voller Länge zitieren:

"Sadomasochisten können nach einem Schiedsspruch des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte1.2 grundsätzlich für ihre Praktiken bestraft werden, auch wenn ihre Partner diesen ausdrücklich zugestimmen. Mit dieser Entscheidung verloren drei in Großbritannien verurteilte Sadomasochisten einen Musterprozeß, den sie vor dem Straßburger Gerichtshof angestrengt hatten.

Die Männer hatten ihre Klage damit begründet, daß sie als Homosexuelle diskriminiert und in ihrem Privatleben eingeschränkt worden seien, als sie 1990 von einem britischen Gericht zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, weil sie 'körperliches Leiden und Verletzungen verursachten'. In der Urteilsbegründung des EuGH heißt es jetzt, der Staat habe das Recht zu entscheiden, wo die Grenzen der Zufügung körperlicher Schmerzen liege. 'Die Festlegung, was ein noch hinnehmbares Maß an körperlichem Leiden ist' obliege ganz allein den Behörden. Der Gerichtshof stellte sich damit ausdrücklich hinter die Urteilsbegründung des britischen Gerichtes, wonach ein Eingreifen 'zum Schutz von Gesundheit und Moral' Rechtens sei. Kritik an dem Urteil übte die Bürgerrechtsorganisation Liberty, die die Kläger unterstützt hatte: 'Es ist ausgesprochen lächerlich, daß sexuelle Aktivitäten, die Erwachsene in ihrem Privatbereich freiwillig an sich vornehmen lassen, ungesetzlich sein sollen' erklärte ein Liberty-Sprecher.

Die drei Kläger gehörten zu einer 16-köpfigen Gruppe von Homosexuellen, die festgenommen wurden, nachdem der Polizei ein Videoband in die Hände gefallen war, das sie bei sadomasochistischen Praktiken zeigte. Auf dem Band war zu sehen, wie sich die Männer schlugen und Verbrennungen beibrachten. Außerdem hatten sie Genitalien mit heißem Wachs, Schmirgelpapier und Angelhaken traktiert.

Dem britischen Gericht zufolge führten die Handlungen nicht zu bleibenden Verletzungen und zogen auch keine ärztliche Betreuung nach sich. An den sadomasochistischen Sitzungen nahmen nur Erwachsene teil, die ihrer Malrätierung zugestimmt hatten. Die Männer benutzten Codeworte, mit denen sie Handlungen stoppen konnten. Ihre Anwälte hatten in dem Prozeß darauf hingewiesen, daß auch andere Schmerzen nach sich ziehende Aktivitäten wie Boxen, Tätowieren und religiöse Beschneidung nicht bestraft würden."

Hierbei handelte es sich also um Mitglieder einer Gruppe volljähriger männlicher Homosexueller die freiwillig und in privatem Rahmen sadomasochistische Praktiken ausübten und davon Privatvideos herstellten, wovon einige in die Hände der Polizei fielen. Dabei kam es zu keinen bleibenden Verletzungen oder Infektionen. Sie wurden wegen KV angeklagt und zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Dagegen legten sie ein Rechtsmittel ein und die Strafe wurde herabgesetzt. Ein weiteres Rechtsmittel an das House of Lords blieb erfolglos. Es hieß, daß die Einwilligung in eine KV die Strafbarkeit der Tat nicht aufhebe und ein Abrücken von dieser Regel zugunsten der Ausübung von Sadomasochismus nicht im öffentlichen Interesse sei (es könnten ja andere junge Männer negativ beeinflußt werden). Es hieß, es sei unbestritten, daß die Verurteilung einen Eingriff in ihr Recht auf Privatleben darstellt. Dieser sei aber gesetzlich vorgesehen und verfolge das legitime Ziel des Schutzes der Gesundheit und der Moral.

Aber zu prüfen war nunmehr, ob dieser Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war, wobei es einem Staat grundsätzlich erlaubt ist durch strafrechtliche Vorschriften die Zufügung von Verletzungen sowie das Ausmaß ihrer Duldung im Fall der Einwilligung des Opfers zu regeln. Es wurde einstimmig entschieden, daß keine Verletzung von Art 8 MRK1.3 vorliege.

Hierauf wurde Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt. Auch die Kommission stellte keine Verletzung von Art 8 MRK fest
(11:7 Stimmen).

Nach der Lektüre dieses Artikels und der Berichte NL 96/1/2 vom 26.10.1995 und NL 97/2/10 vom 19.2.19971.4 überlegte ich lange, ob ich dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte meine volle Zustimmung geben oder ablehnend gegenüber stehen sollte.

Auch stellte ich mir die Frage, wie es wohl bei uns in Österreich bei einem ähnlich gelagerten Fall aussehen würde. Meine Recherchen ergaben, daß es über dieses Thema kaum Entscheidungen gibt. Die bekanntesten zwei Entscheidungen, eine "dafür", die andere "dagegen", werden weiter unten angesprochen. Auch mußte ich feststellen, daß die Einstellungen diverser Rechtswissenschaftler eher unterschiedlich sind.

Einerseits erging die Entscheidungen 12 Os 17/89-7, OGH 12.6.1989. In diesem Fall wurden dem Angeklagten das Verbrechen des Zwanges zur Unzucht gem § 203 Abs 1 StGB sowie der Vergehen der versuchten Nötigung zur Unzucht gem §§ 15, 204 StGB, der Nötigung gem 105 Abs 1 StGB, der Körperverletzung gem § 83 Abs 2 StGB und des Betruges gem § 146 vorgeworfen; er hat drei Frauen durch Anwendung von Hypnose widerstandsunfähig gemacht, in diesem Zustand zur Duldung von Fesselung und Auspeitschung genötigt und sie dadurch am Körper verletzt. Diese ließen sich - in Erwartung der Angeklagte würde ihnen eine Stelle als Model verschaffen - freiwillig hyptnotisieren und nach seinem Gutdünken "testen". Der OGH entschied, daß die Duldung der Fesselung und des Auspeitschens eine Folge der vorausgegangenen Hypnotisierung war. Diese, aus freien Stücken zugelassene Hyptnotisierung, erfülle den Tatbestand der Nötigung nicht. Auch die Duldung der Zufügung von Striemen, welche an sich leichte Verletzungen darstellen, seien im

Verlaufe eines freiwilligen sadomasochistischen Verkehrs angesichts der Zustimmung des Opfers nicht strafbar1.5. Diese Entscheidung erging als erster Versuch einer Liberalisierung zugunsten des Beklagten, an welcher sich der OGH bis dato aber nicht wieder orientiert hat.

Andererseits jedoch erging die Entscheidung 12 Os 180/76-8, OGH 10.3.1977, an der sich der OGH nach wie orientiert. In diesem Fall wurden dem Angeklagten neben anderen Delikten auch Nötigung zur Unzucht gem § 204 Abs 1 StGB - von welcher er freigesprochen wurde - und Körperverletzung gem § 83 Abs 2 StGB vorgeworfen. Diese resultierte aus den gleichgeschlechtlichen aber auch sadistischen Unzuchthandlungen - zu welchen im Zweifel die Einwilligung anzunehmen war -durch das einer Beischlafhandlung ähnliche Würgen des Opfers. Trotz der Annahme, daß der männliche Partner des Angeklagten mit den Unzucht- und Beischlafhandlungen einverstanden war, sprach der OGH aus, daß sadistische oder masochistische Mißhandlungen grundsätzlich gegen die guten Sitten verstoßen und eine Einwilligung zu ihnen daher strafrechtlich ohne Relevanz ist und die Einwilligung die Rechtswidrigkeit einer KV nur ausschließt, wenn die Verletzung also solche nicht gegen die guten Sitten verstößt1.6. Der Angeklagte wurde - trotz erfolgter und gültiger Einwilligung des Opfers - wegen Körperverletzung verurteilt.

Diese so unterschiedlichen Entscheidungen zeigen sehr deutlich auf, daß es in der österreichischen Rechtsprechung nach wie vor sehr umstritten ist, inwieweit § 90 Abs 1 StGB bezüglich einverständlicher gegenseitiger sadomasochistischer Handlungen bei der Beurteilung der strafrechtlichen Relevanz heranzuziehen ist. Die deutsche Rechtsprechung hingegen besagt, daß einverständliche SM-Handlungen, die leichte Körperverletzungen nach sich ziehen, nicht strafbar wären, da diese nicht gegen die Guten Sitten verstoßen.


Unterabschnitte


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2000-10-19