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Themenstellung

Diese Arbeit beschäftigt sich daher mit der Frage, inwiefern leichte Körperverletzungen im Rahmen von einverständlichen sadistischen und/oder masochistischen1.7 Sexualpraktiken unter Berücksichtigung des § 90 Abs 1 StGB zu beurteilen sind. Desweiteren, inwieweit ein Eingriff der staatlichen Instanzen als überschießend zu sehen ist und ab wann diese Eingriffe für den Einzelnen nicht mehr als eine ungerechtfertigte Verletzung der frei disponiblen Rechtsgüter zB des Privat- und Familienlebens, der sexuellen Selbstbestimmung und der grundsätzlich disponiblen Rechtsgüter wie zB der körperlichen Integrität anzusehen ist.

Es soll versucht werden festzustellen, ob einverständliche sadomasochistische Handlungen im Rahmen von Körperverletzungsdelikten strafwürdiges Unrecht oder bloß ungewöhnliche Sexualpraktiken darstellen. Es muß auch untersucht werden, wie die durch sadomasochistische Handlungen herbeigeführte sexuelle Erregung des sogenannten Masochisten auf das Tatbestandsmerkmal der körperlichen Mißhandlung, die ja das körperliche Wohlbefinden miteinschließt, einwirkt.

Im besonderen geht es um die Rechtfertigung einer Körperverletzung durch Einwilligung im Hinblick auf die "guten Sitten", also auf das, was dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden entspricht. Zu Berücksichtigen ist aber auch, daß es sehr schwierig ist, ein für alle Fälle geltendes Werturteil zu fällen und ist daher die Rechtfertigung mangels Eindeutigkeit eines Sittenverstoßes zu bejahen.

Verallgemeinert heißt es, daß die Tat als solche nicht gegen die guten Sitten verstoßen dürfe1.8 und, um der Tat das Prädikat der Rechtwidrigkeit zu nehmen, muß eine wirksame Einwilligung des Rechtsgutträgers vorliegen. Es kommt nach hM auf die Sittenwidrigkeit der Tat selbst an1.9, also auf den Zweck der Beeinträchtigung (Körperverletzung aus SM-Motiven). Dieser "Zweckgedanke" umschreibt das ausschließliche Abstellen auf die Tat selbst.

Bertel1.10 und Brandstätter weichen von der hM ab und sehen ausschließlich die mehr oder weniger gefährliche Handlung als Gegenstand der Einwilligung an, nicht den Erfolg. Die Einwilligung sei auf jene Gefahrensituation zu beziehen, "welche die Handlung des Täters mit sich bringt", denn "wenn der Gefährdete in das Risiko, das die Handlung des Täters schafft, rechtswirksam einwilligt, beseitigt die Einwilligung die spezifische Rechtwidrigkeit der Täterhandlung"1.11. Der Täter ist daher nicht zu bestrafen, wenn es zu einer Verletzung aufgrund der Handlung kommt, in die eingewilligt wurde.

Fuchs versucht in seiner Lösung einen Mittelweg zwischen strenger Handlungs-bezogenheit und Taterfolg. Nach seiner Auffassung tritt die strafbefreiende Wirkung dann ein, wenn entweder in den Verletzungserfolg, also die Rechtsgutbeein-trächtigung, oder wenn in die gefährliche Handlung als "Gestattung eines bestimmten Risikoniveaus" eingewilligt wird.1.12

Vermeint man, daß allein die Sittenwidrigkeit der Einwilligung ausschlaggebend wäre, ist zu bedenken, daß es hier nur um die Limitierung der Verfügungsbefugnis des Rechtgutinhabers (körperliche Integrität) geht, weil das Rechtsgut gegenüber Beeinträchtigungen durch Dritte nicht schlechthin, sondern nur innerhalb eines tolerierbaren Rahmens zur Disposition des einzelnen gestellt wird.

Gesichtspunkte, welche nur die Sittenwidrigkeit der Einwilligung selbst betreffen, also wenn man eine mit Einwilligung vorgenommene Körperverletzung alleine schon wegen des sittlich "negativ" zu veranschlagenden Tatzwecks (SM) als rechtswidrig einstuft, verleugnet man in Wahrheit den Gedanken einer echten Einwilligungsvorschrift, deren Wesen doch gerade in der grundsätzlichen freien Disposition über den deliktsrechtlichen Schutz des Rechtsgutes wie der körperlichen Integrität, der sexuellen Selbstbestimmung, dem Schutz der Privatsphäre etc liegt.

Im Bereich des SM geht es nicht um den Erfolgsumfang der Körperverletzung, sondern um den sexuellen Aspekt, der in der älteren Rechtsprechung an sich schon als sittenwidrig eingestuft wird: "Sadistische oder masochistische Mißhandlungen verstoßen jedoch grundsätzlich gegen die guten Sitten, weshalb einer Einwilligung zu ihnen für die strafrechtliche Relevanz des Verhaltens keine Bedeutung zukommt."1.13 Obwohl die genannte Entscheidung schon über 20 Jahre alt ist, orientieren sich die österreichischen Gerichte nach wie vor an ihr. Wobei sich unser aller guter Sitten in der Zwischenzeit gewandelt haben dürften.

Nur eine Entscheidung berücksichtigte den Wandel in der Gesellschaft betreffend der Vorstellungen von Sittlichkeit und Moral. In dieser wurde über die Straffreiheit bei an sich leichten Verletzungen bei gegenseitigen einverständlichen sadomasochistischen Handlungen nachgedacht: "(...) und auch die Duldung der Zufügung von Striemen, sohin an sich leichter Verletzungen im Verlauf eines freiwilligen sadomasochistischen Verkehrs angesichts der Zustimmung des Opfers nicht strafbar wäre."1.14

Grundsätzlich ist also die Sittenwidrigkeit der Tat ausschließlich nach dem Gewicht des tatbestandsmäßigen Rechtguteingriffs zu beurteilen. Andernfalls wäre die Verwerflichkeit des verfolgten Zwecks und nicht mehr die Verletzung des vom Tatbestand erfaßten Rechtsgutes der Grund für die Bestrafung. Wesensgehalt der rechtfertigenden Einwilligung ist also der umfassende Rechtschutzverzicht durch bewußte Preisgabe des Rechtsgutes, sohin der Erfolg und nicht die Handlung an sich.1.15 Erst ausnahmsweise gewinnt der § 90 Abs 1 StGB und der § 228 dStGB an Bedeutung, wenn die Körperverletzung für sich allein betrachtet als sittenwidrig anzusehen wäre, eine solche negative Bewertung aber durch einen positiven Zweck kompensiert wird. Erst bei gravierenden Beeinträchtigungen, zB Verletzung des öffentlichen Interesses (Schutz von Jugendlichen und Unmündigen, Sozialwesen etc) kann man den Verstoß der Tat gegen die guten Sitten als Gegenstand eines Offizialverfahrens machen und aus dem Dispositionsbereich des einzelnen ausgliedern. Das erfaßte Gebiet - leichte Körperverletzungen bei SM-Praktiken - muß aber grundsätzlich der Dispositionsfreiheit des einzelnen im Rahmen seiner verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte überlassen bleiben.

Auf keinen Fall darf die Einwilligung aber zum Zecke der Vorbereitung, Vornahme, Verdeckung oder Vortäuschung einer Straftat unternommen sein dürfen.


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2000-10-19