den Titel: „Histoire de Justine ou les malheurs de la Vertu par le Marquis de Sade“ (en Hollande 1797) und das bezeichnete Motto: „Ou n’est point criminel pour faire la peinture des bizarres penchants qu’inspire la nature.“ Die sechs folgenden Bände führen den Titel: „Histoire de Juliette ou les prosperites du vice par le Marquis de Sade.“ Druckangabe und Motto sind dieselben wie bei Justine. Auffällig ist, dass auf dem Titelblatt, als zur Justine gehörig, 44, zur Juliette 60 - im ganzen also 104 - Stiche bezeichnet werden, während tatsächlich nur 100 Stiche (zehn für jeden Band) vorhanden sind, deren Zugehörigkeit zu der betreffenden Ausgabe durch die beigedruckten Band- und Seitenzahlen ersichtlich ist. Übrigens ist - ganz abgesehen von der Schauerlichkeit des Dargestellten - der künstlerische Wert dieser Illustrationen überaus gering. Grobe Fehler der Zeichnung, der Perspektive, gänzlicher Mangel an Individualisierung, dürftige, fast ärmliche Erfassung der Szenerie frappieren bei der Mehrzahl der Bilder, denen man höchstens die kompositionelle Treue in Anlehnung an die oft recht komplizierten Gruppenbeschreibungen des Textes als ein immerhin zweifelhaftes Verdienst zusprechen kann. Hier hätte es, wenn derartiges überhaupt gewagt werden sollte, der entfesselten und vor nichts zurückschaudernden Phantasie bedurft, mit der ein Doré die Gestalten von Dantes Inferno nachzuschaffen gewusst hat.

Der Inhalt - oder vielmehr die das Ganze beherrschende Grundtendenz - ist schon durch die Nebentitel „les malheurs de la vertu“ und „les prosperites du vice“ genügend gekennzeichnet. Mit zähester Beharrlichkeit wird durch alle zehn Bände hindurch immer und immer wieder das Thema variiert, dass es der „Tugend“, gerade eben weil und so lange sie Tugend ist und sein will, notwendig höchst elend ergehen und dass das „Laster“ eben so notwendig florieren und obenauf kommen muss. Die Vertreterinnen der entgegengesetzten Moralextreme sind die beiden Schwestern, Justine und Juliette. Wir finden sie zuerst in noch sehr jugendlichem Alter, eben verwaist und durch den Bankerott ihres Vaters in dürftigen Verhältnissen: Justine, fest entschlossen, unter allen Umständen tugendhaft zu bleiben, und die ältere Juliette eben so fest entschlossen, sich dem eine glänzende Karriere verheissenden Laster in die Arme zu werfen. So trennen sich ihre Wege. Wir begleiten nun vier Bände hindurch die tugendhafte Justine auf ihren Irrfahrten, wobei es ihr immer jammervoller ergeht, ihr Vertrauen immer schmerzlich enttäuscht, ihre Gutherzigkeit immer an Unwürdige und an Bösewichte verschwendet wird, ihre Wohltaten jedesmal zu ihrem eigenen Verderben ausschlagen, ohne dass sie doch zur Erkenntnis ihrer grenzenlosen Torheit, nach des Verfassers Standpunkt, durchzudringen vermag, - was ihre aufgeklärten Gegner, die Grossinquisitoren. der natürlichen Vernunft, mit

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