welche Tatsache namentlich vom forensischen Standpunkte aus betrachtet, hohes Interesse bietet, mit dem Namen "geschlechtliche Hörigkeit" bezeichnet 1), weil die daraus hervorgehenden Verhältnisse durchaus den Charakter der Unfreiheit tragen. Der Wille des herrschenden Teiles gebietet über den des unterworfenen Teiles, wie der des Herrn über den des Hörigen 2).

Diese "geschlechtliche Hörigkeit" ist, wie gesagt, eine allerdings auch psychisch abnorme Erscheinung. Sie beginnt eben da, wo die äussere Norm, das von Gesetz und Sitte vorgezeichnete Mass der Abhängigkeit eines Teils vom anderen oder beider voneinander infolge individueller Besonderheit in der Intensität an sich normaler Motive verlassen wird. Die geschlechtliche Hörigkeit ist aber keine perverse Erscheinung; die hier wirkenden Triebfedern sind dieselben, die auch die gänzlich innerhalb der Norm verlaufende psychische Vita sexualis - wenn auch mit minderer Heftigkeit - in Bewegung setzen.

Furcht, den Genossen zu verlieren, der Wunsch, ihn immer zufrieden, liebenswürdig und zum geschlechtlichen Verkehr geneigt zu erhalten, sind hier die Motive des unterworfenen Teiles. Ein ungewöhnlicher Grad von Verliebtheit, der - namentlich beim Weibe - durchaus nicht immer einen ungewöhnlichen Grad von Sinnlichkeit bedeutet, und Charakterschwäche andererseits sind die einfachen Elemente des ungewöhnlichen Vorganges 3).

Das Motiv des anderen Teiles ist Egoismus, der freien Spielraum findet.

Die Erscheinungen der Geschlechtshörigkeit sind in ihren Formen mannigfaltig und die Zahl der Fälle ist eine ungemein grosse 4). In geschlechtliche Hörigkeit geratene Männer finden wir im Leben bei jedem


1) Vgl. des Verfassers Abhandlung "über geschlechtliche Hörigkeit und Masochismus" in den psychiatrischen Jahrbüchern Bd. X, p. 169 ff., wo dieser Gegenstand ausführlich und namentlich vom forensischen Gesichtspunkte aus behandelt wurde.

2) Die Ausdrücke Sklave und Sklaverei, obwohl sie oft auch in solchen Situationen bildlich gebraucht werden, wurden hier vermieden, weil dies Lieblingsausdrücke des Masochismus sind, von welchem die "Hörigkeit" durchaus unterschieden werden muss.
Der Ausdruck "Hörigkeit" darf auch nicht verwechselt werden mit J. St. Mill's "Hörigkeit der Frau". Was Mill mit diesem Ausdrucke bezeichnet, sind Gesetze und Sitten, soziale und historische Erscheinungen. Hier aber sprechen wir von jedesmal individuell besonders motivierten Tatsachen, die mit jeweils geltenden Sitten und Gesetzen geradezu im Widerspruch stehen. Auch hier ist von beiden Geschlechtern die Rede.

3) Das wichtigste dabei ist vielleicht, dass sich durch die Gewöhnung an den Gehorsam eine Art Mechanismus der ihres Motives unbewussten, mit automatischer Sicherheit funktionierenden Folgsamkeit ausbilden kann, der mit Gegenmotiven gar nicht zu kämpfen hat, weil er unter der Schwelle des Bewusstseins liegt und von dem herrschenden Teil wie ein totes Instrument gehandhabt werden kann.

4) In allen Literaturen spielt naturgemäss die Geschlechtshörigkeit eine Rolle. Ungewöhnliche, aber nicht perverse Erscheinungen des Seelenlebens sind ja für den Dichter ein dankbares und erlaubtes Gebiet. Die berühmteste Schilderung männlicher Hörigkeit ist wohl der Abbé Prévost ("Manon Lescault". Eine vorzügliche Schilderung weiblicher Hörigkeit bietet Georg Sands "Leone Leoni". Hierher gehört vor allem Kleists "Käthchen von Heilbronn", von ihm selbst als Gegenstück zur (sadistischen) "Penthesilea" bezeichnet, hierher Halms "Griseldis" und viele ähnliche Dichtungen.

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