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Der Papiertiger: Christentum

 
   
   
   
   
   
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Der Papiertiger ist eine Enzyklopädie des Sadomasochismus, zusammengestellt von Datenschlag. Hier erklären wir Begriffe aus dem SM-Bereich und stellen sie in den Zusammenhang der sadomasochistischen Subkultur und ihrer Traditionen.



Im Gegensatz zu den meisten anderen ungewöhnlichen Sexpraktiken wird Sadomasochismus vom Christentum nicht ausdrücklich verdammt. Sowohl in der Bibel als auch in den Moralvorschriften des Mittelalters wird SM noch nicht erwähnt.
Es ist vermutet worden, daß Sadomasochismus als sexuelle Spielart geschichtlich viel jünger als beispielsweise Homosexualität ist und erst mit der Renaissance als Beginn der Moderne aufgetaucht und somit der kirchlichen Aufmerksamkeit in der Zeit als die Kirchen noch mächtiger waren, entgangen ist.

Die Geschichte des Christentums liefert eine enorme Menge an Material für sadistische und masochistische Phantasien, die eine offenkundige Faszination für Quälereien verraten, sich allerdings von dem, was wir als Sadomasochismus begreifen durch die Nichtbeachtung des Konsens-Prinzips unterscheiden. Auch das Sicherheits-Denken war nicht besonders ausgeprägt:

Die heilige Maria Magdalene dei Pazzi (1566-1607), eine Karmeliterin aus Florenz, eine der "hervorragendesten Mystikerinen ihres Ordens", wälzte sich in Dornen, liess sich heißes Wachs auf die Haut träufeln, beschimpfen, ins Gesicht treten und peitschen, was sie offenbar am meisten entzückte, tat es die Priorin im Beisein aller.

Besonders Leidtragende waren unter den Regeln der christlichen Kirchen die Frauen (siehe auch dort). Wenn auch jüngere Generationen nur über diese Vorstellungen lachen können und die Kirche selbst mehr oder weniger bemüht ist, ihre Vorstellungen denen der restlichen zivilisierten Gesellschaft anzupassen, muß man sich klar sein, dass eine nicht geringe Anzahl von Frauen mit diesen Vorgaben aufgewachsen sind, besser, aufgewachsen wurden. Dass der Sadomasochismus, insbesondere da, wo Frauen die Rolle des Bottoms übernehmen, bei ihnen übelst aufstößt, ist verständlich und es kann sogar vermutet werden, dass dies einer der Hauptgründe für die massive Ablehnung von Feministinnen (s. Eintr.: Feminismus)
der älteren Semester ist (vgl. dazu EMMA und Schwarzer, Alice).

Kirchengelehrte aller Richtung und Zeitperioden haben sich zu der
Stellung der Frau sehr direkt geäußert (aus1):

Die rechte Ordnung findet sich nur da, wo der Mann befiehlt, die Frau gehorcht. - Augustinus

Wenn sich die Frau ihrem Mann, der ihr Haupt ist, nicht unterwirft, ist sie desselben Verbrechens schuldig wie ein Mann, der sich nicht seinem Haupt (Christus) unterwirft. - Hieronymus

Das Weib verhält sich zum Mann wie das Unvollkommene und Defekte zum Vollkommenen. - Thomas von Aquin

Von Thomas von Aquin stammt auch die Überlegung, daß1:

Die Unterordnung der Frau geht hevor aus dem göttlichen Recht und dem Naturrecht, nämlich der Natur der Frau selbst, weshalb Thomas ihren Gehorsam im häuslichen und öffentlichen Leben fordert.

Luther stand den anderen auch in keinster Weise nach1:

Wie irgendein Kirchenvater legte Luther die paradisische Sündenfallstory zum Vorteil des Mannes aus, dem das "Regiment" gehöre, während die Frau sich "bücken müsse". Der Mann ist "höher und besser", "Wächter eines Kindes"; die Frau "ein halbes Kind", "ein Toll Thier", "die grösste Ehre, die es hat, ist, daß wir allzumal durch die Weiber geboren werden"

Die Tradition der Frauenfeindlichkeit in den christlichen Kirchen kann auf den Apostel Paulus zurückverfolgt wurden, dessen Vorstellungen über das Sprachrecht von Frauen direkt aus einer Male Domination-Phantasiegeschichte stammen könnten:

Die Frauen sollen in den Gemeindeversammlugen schweigen, denn es kann ihnen nicht gestattet werden zu reden, sondern sie haben sich unterzuordnen...

In der Bibel selbst (siehe auch unten) finden sich mehrfach Stellen, die speziell auf den Status der Frau hinweisen:

Aber wie nun die Gemeinde ist Christo untertan, also auch die Weiber ihren Männern in allen Dingen. - Ephes. 5,24
Lehret sie, die Schranken der Unterordnung zu halten. - 1 Clem. 1,3

Die theologischen Auswüchse dieser Aussagen, der hier nicht weiter behandelt werden soll, lässt diese Regeln aber fast schon gemässig aussehen:

Berüchtigt wurde ein Vorfall auf der Synode von Macon (585), wo man die Frage verhandelte, ob verdienstvolle Frauen bei der Wiederauferstehung des Fleisches nicht zuerst in Männer verwandelt werden müssten, ehe sie das Paradis betreten könnten und ein Bischof mit der Erklärung brillierte, Weiber seien keine Menschen. (mulierem hominem vocitari non posse).

Und 1591 wurde von lutheranischen Theologen in Wittenberg darüber gestritten, ob die Frauen überhaupt Menschen sein, 1672 erscheint dazu die Schrift Femina non est homo1. Männer, die in den späten 90ern über Begriffe wie Patriachat nur verständnislos den Kopf schütteln und sich fragen, wie in aller Welt eine Frau ideologische Probleme damit haben könnte, sich auch aus der eigenen Lust heraus ihrem Partner im Spiel zu unterwerfen, sollten sich bewusst sein, daß sie sich damit freiwillig in eine Rolle begibt, die ihnen die christlichen Kirchen über 2000 Jahre lang brutal aufgezwungen hat. Die meisten Frauen stehen inzwischen soweit über diesen Vorstellungen, daß sie sie nicht mehr als Bedrohung sehen. Für andere, besonders ältere, kann es aber zu Konflikten kommen zwischen der Rolle als Bottom und den Vorstellungen von sich als emanzipierte Frau, die sich bewusst von der gesellschaftlichen Unterdrückung zu befreien versucht.

Es wäre auch falsch zu glauben, diese Ansichten einiger christlicher Institutionen wären im Mittelalter ausgestorben. Noch 1922 erklärt der katholische Theologe Ries1

Der katholischen Kirche und ihr allein verdankt die christliche Frau ihre wahre Würde. Es ist darum billig und recht, daß die Frau sich auch der Kirche als dankbar erweist.

Die Ansichten des heutigen Papstes zu dem Thema dürften allgemein bekannt sein. Männer sollte sich klar sein, daß besonders Spiele aus dem DS-Bereich für einige Frauen zu sehr an von ihnen wahrgenommenen Strukturen erinnern, um auf Anhieb akzeptabel zu sein. Wie unter Frauen ausführlicher beschrieben muß die Möglichkeit, sich bewusst und aus einer freien Entscheidung heraus für die gemeinsame Lust in einem Spiel einem Mann zu unterwerfen, als eine deutliche Darstellung der erreichten weiblichen Emanzipation gesehen werden: Eine Frau, die sich ihrer Stellung in einer Beziehung oder der Gesellschaft nicht sicher sein kann, kann es sich nicht leisten, auch nur in einem Spiel nachzugeben.

Die sonst gegenüber sexuellen Minderheiten enorm feindlich eingestellte Bibel enthält interessanterweise keine Regeln gegen den Sadomasochismus.
So ist zwar die Homosexualität unter Männern unter drakonischen Strafen gestellt (Levitikus 20,13), wie auch die Zoophilie (Levitikus 20,15-16 wie auch Exodus 22,18) und Transvestitismus (s. Eintr.: Transvestismus) (Deuteronomium 22,5), aber für den Sadomasochismus enthält die Bibel Sätze, die mit einer gewissen Portion Humor sogar als positiv interpretiert werden könnten. So finden wir, fast schon als biblisches Motto (s. Eintr.: Prinzip) des Sadomasochismus unter Sprichwörter 27,6:

Treu gemeint sind die Schläge eines Freundes, doch trügerisch die Küsse eines Feindes.

Und Sprichwörter 12,1 beschreibt die Wissensverliebtheit der Sadomasochisten ziemlich genau:

Wer Zucht liebt, liebt Erkenntnis, wer Zurechtweisung hasst, ist dumm.

Die englische Version ist von den verwendeten Worten vielleicht noch passender:

He who loves discipline loves knowledge, but he who hates reproof is stupid.

Aus Sprüche 20,30 erfahren wir: "Wundstriemen scheuern das Böse weg, und Schläge scheuern die Kammern des Leibes." Hier wird also sozusagen eine psychohygienische Wirkung von Schlägen angedeutet, ein therapeutischer Effekt.

Aus dem Zusammenhang gerissen (eigentlich geht es hier um Drogen-Missbrauch) ist auch Sprichwörter 23,35 interessant:

Man hat mich geschlagen, doch es tat nicht weh, man hat mich gehauen, aber ich habe nichts gespürt.

Der Sklaverei werden im Alten Testament eine Menge Raum eingeräumt, besonders den Regeln, die dem Schutz der Sklaven dienen. Allgemein wird der Punkt in Exodus 21,1 geregelt (Exodus 21,6 wird gelegentlich in Diskussionen über Piercing erwähnt, das Thema wird nochmal in Deutronomium 15,17 aufgegriffen). Daß eine Beziehung beendet werden muss, wenn dem Sklaven ersthafter körperlicher Schaden zugefügt wird, steht in Exodus 21,26-27. Unfreiwillig, also Noncon, darf keiner zum Sklaven gemacht werden wegen Deuteronomium 24,7. Dagegen ist es durchaus erlaubt, sich selbst zum Sklaven zu machen (Deutronomium 15,12-18). Einen Sklaven soll man nicht bei seinem Meister anschwärzen sagt uns Sprichwörter 30,10. Siehe auch die Ausführungen unter Levitikus 25,39-54. Und in 1. Timotheus 6,1 haben wir:

Alle, die das Joch der Sklaverei zu tragen haben, sollen ihren Herren alle Ehre erweisen, damit der Name Gottes und der Lehre nicht in Verruf kommt.

Diese Stelle ist besonders interessant, weil sie sich im Neuen Testament befindet.

Auch das Verhalten gegenüber fremden Sklavinnen wird geregelt. In Levitikus 20,19 wird ein Widder als Preis für eine Wiedergutmachung von einem Beischlaf mit einer fremden Sklavin genannt. Verwandt damit ist Genesis 30,4, wo die Magd Bilha von Rahel zum Geschlechtsverkehr freigegeben wird - diese Stelle bildet die Grundlage für den Film Geschichte der Dienerin. Eine ähnliche Stelle ist 2. Könige 4,14-17. Nicht als Sklave angenommen zu werden, ist offensichtlich auch ein zusätzliches Unglück (Deuteronomium 28,68).

Zu einzelnen Praktiken finden sich auch vereinzelnd Textstellen. Die Anzahl von Schlägen wird in Deutronomium 25,3 auf 40 begrenzt, Levitikus 20,18 liesse sich auf Red Wings anwenden, wie Deuteronomium 25,11 für CBT (s. Eintr.: Cock and Ball Torture).

Interessant ist auch, daß in der englischsprachigen Ausgabe druchgehend böse Leute als Perverse bezeichnet werden, was für die soziale Bewertung des Begriffs ein ziemlicher Fingerzeig ist. So finden wir in Sprichwörter 12,8 auf Englisch:

A man is commended according to his good sense, but one of perverse mind is despised.

Diese Stelle, vielleicht die einzige, die sich gegen den Sadomasochismus verwenden liesse, lautet im Deutschen wesentlich weniger diskriminierend:

Nach dem Mass seiner Klugheit wird jeder gelobt, verkehrter Sinn fällt der Verachtung anheim.

SMuC versucht als Organisation christlicher Sadomasochisten einen Brückenschlag zwischen christlicher und SM-Orientierung der Mitglieder.

Literaturhinweise:

1 Deschner, Karlheinz:
    Das Kreuz mit der Kirche, Eine Sexualgeschichte des Christentums.  [Details]

 

Synonyme: Bibel, Christ

Siehe auch: Religion

Auf diesen Eintrag verweisen: Religion, Sadomasochismus

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Stand: 19.11.2002.

 

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