Papiertiger

Der Papiertiger: Sicherheit

 
   
   
   
   
   
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Der Papiertiger ist eine Enzyklopädie des Sadomasochismus, zusammengestellt von Datenschlag. Hier erklären wir Begriffe aus dem SM-Bereich und stellen sie in den Zusammenhang der sadomasochistischen Subkultur und ihrer Traditionen.



Neben Konsensualität und Vertrauen eins der wichtigsten Prinzipien des Sadomasochismus. Der Begriff wird meist mit Schutz vor körperlichen Schäden gleichgesetzt, und das ist auch die Hauptrichtung dieses Eintrags.
Allgemeiner gefasst fällt unter Sicherheit aber auch der Schutz vor psychischen Schäden in seiner weitesten Bedeutung. Der Begriff des geschützten Raums auf sadomasochistischen Feten wird unter Parties besprochen, der Schutz vor sozialen Schäden mit Blick auf die Einstellung der Vanilla (s. Eintr.: Vanille)-Gesellschaft zu Sadomasochisten unter Organisationen und auch Subkultur sowie unter Schweigepflicht. Sicherheit als Schutz vor Krankheitserregern wie HIV, Hepatitis B und C wird dort besprochen, vgl. auch Kondome. Der (entfernt) verwandte Begriff der juristischen Absicherung findet sich unter Rechtslage und in den Einträgen der einzelnen Länder. Spezialfragen zu einzelnen Praktiken finden sich unter Fesselspiele, Schlagspiele und Statusspiele, etc.

Die Einbindung von teilweise komplizierten Praktiken in das Sexualleben kann als eine der definierenden Merkmale des Sadomasochismus angesehen werden. Mit diesen Praktiken kommt auch die Notwendigkeit, stärker als bei andern Formen der Sexualität sich vor dem Spielen ein gewisses Maß an Fachwissen anzueignen. Eine der Hauptfunktionen der sadomasochistischen Subkultur ist die Sammlung und Weitergabe des Wissens über die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen bei sadomasochistischen Praktiken. Während die Art dieser Weitergabe sich innerhalb der nicht-kommerziellen Subkultur entschieden gewandelt hat (siehe Old Guard), zieht sich die Hochschätzung von Wissen und Erfahrung wie ein roter Faden durch die sadomasochistische Subkultur. Regelmäßig erscheinende Magazine wie z.B. die Schlagzeilen enthalten in fast jeder Ausgabe Informationen zum Thema sicheres Spielen.

Diese Betonung der Sicherheit verselbständigt sich an einigen Stellen, so wirken selbst Bücher für absolute Neulinge teilweise wie eine Kreuzung aus Segellehrgang, Schauspielschule, Psychologiekurs und Anatomievorlesung.
Die Gefahr eines überzogenen Sicherheitsdenkens liegt in erster Linie darin, daß insbesondere Einsteiger abgeschreckt werden können. Statt ihre, teilweise jahrelang in sich getragenen, Phantasien endlich lustvoll ausleben zu können gewinnen sie die Überzeugung, daß bei nahezu jeder Praktik unwägbare Gefahren lauern. Sicherheitsbewusstsein ist immer dann produktiv, wenn es in die Handlungen einfließt ohne sie zu behindern.

Zu einer vernünftigen Risikoabschätzung gehört das Wissen, daß Gefahren nie hundertprozentig gebannt werden können, weder im Bereich des SM noch im täglichen Leben. Die Entscheidung, welche Risiken noch tragbar erscheinen und welche auch um den Preis eines Verzichts vermieden werden sollen, ist immer eine persönliche. Es kann dabei hilfreich sein, sich die schlimmstmöglichen Folgen einer Praktik zu überlegen und sie den Risiken des Alltags gegenüber zu stellen. Leider ist über die Wahrscheinlichkeit, daß diese Folgen eintreten im Bereich des SM sehr wenig bekannt, es wird geschätzt, daß an den Praktiken mit der höchsten Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Ausgangs (autoerotische Atemkontrolle) im Jahr ca einer von 1 Mio Menschen stirbt1.

Im Zuge der SM-Welle und der damit verbundenen Übernahme von sadomasochistischen Praktiken in den Mainstream finden sich zunehmend Sadomasochisten in der ungewohnten Rolle des Sicherheitsberaters. Angefangen bei Büchern wie "Joy of Sex"2 über die Populärpresse zu den neusten Filmen im Kino werden sadomasochistische Praktiken einer grossen Allgemeinheit vorgeführt oder vorgestellt, ohne daß auch nur die grundlegendsten Sicherheitsmaßnahmen mitgegeben werden. Diese als gemeinnützig zu bezeichende Funktion der sadomasochistischen Organisationen existiert erst seit ihrer Öffnung nach außen hin, siehe dort.

Eine eventuelle Zensur sadomasochistischer Literatur verhindert nicht, dass sadomasochistische Praktiken ausprobiert werden, sondern nur dazu führt, daß sie ohne das nötige Wissen über sichere Vorgehensweisen ausgeübt werden - mit vorhersehbaren Konsequenzen. Hier wird die Sicherheit von vielen den Moralvorstellungen einiger weniger geopfert.

Das erste Buch über Sicherheit ist das 1972 in den USA erschienene Leatherman's Handbook, The3 von Townsend, Larry, in der deutschen Übersetung zuerst 1998 erschienen (4). Die ersten Videos zu diesem Thema sind die von Zee, Ona 1990 herausgebrachte Learning the Ropes Serie, die seit 1995 auch in einer deutschen Fassung vorliegen soll. Als erstens elektronisches Werk kann mit Abstrichen das HCB Handbuch von 1993 gelten.

Ein wichtiger Meilenstein war die Einführung des Prinzips des Safewords - siehe dort für nähere Details, Geschichte und Grenzen.

Die drei allgemeinen Voraussetzungen für sicheres Spielen sind ständige Kommunikation, gesunder Menschenverstand und fundiertes Hindergrundwissen. Fragen zur Kommunikation werden zum größten Teil unter Absprache und Safeword behandelt. Einen gewissen Grundstock an Hintergrundwissen kann man sich aus Büchern für Neulinge aneignen5, im Endeffekt kann praktische Sicherheit aber nur durch die Praxis erlernt werden. Nicht umsonst geben kommerzielle Dominas wie auch früher die Old Guard ihr Wissen durch eine Art Lehre weiter. Viele Organisationen veranstalten in unregelmäßigen Abständen Workshops zu einzelnen Sicherheitsfragen.

Die folgenden Regeln zum sicheren Spielen werden alle durch den gesunden Menschenverstand diktiert - einige davon erinnern an die Regeln, die Mutter uns auf den Lebensweg mitgegeben hat.

Nicht mit Fremden spielen.

Diese Regel ist so selbstverständlich, dass man sie eigentlich kaum erwähnen müsste. Wer aber Schwierigkeiten hat, einen Partner zu finden oder gerade erst über eine Anzeige einen kennengelernt hat, wird vielleicht in Versuchung geraten, sie zu ignorieren. Ein Bottom, besonders einer, der auf Fesselspiele steht, sollte sich darüber im klaren sein, dass er sein Leben in die Hand des anderen legt - und auch wenn die meisten Geschichten in den Zeitungen über böse, kranke Sado-Maso-Perverse das Papier nicht wert sind, auf dem sie gedruckt wurden, sollte man immer damit rechnen, unter den vielen Schafen im Wolfspelz auch einen Wolf anzutreffen.

Einige Sadomasochisten stehen gerade auf das Gefühl, von einem unbekannten, gesichtslosen Fremden überfallen und missbraucht zu werden. Allgemein sollten solche Phantasien nur in sicherer Umgebung (z.B. unter der Aufsicht eines Bekannte auf einer Party) in Rollenspielen angenährt werden. Möglichkeiten, sie sicher in die Praxis umzusetzen, gibt es im Umfeld der (einer) sadomasochistischen Subkultur, wo man sich trotzdem mit einem Schutzengel absprechen sollte.

Auch für Bekannte und Freunde gilt:

Spiele niemals mit jemanden, dem Du nicht vertraust

Mit Vertrauen ist nicht nur das rationale, überlegte Vertrauen gemeint, sprich, ob man einen logischen Grund hat, jemanden nicht zu trauen, sondern betont auch das Gefühl des Vertrauens. Der Instinkt für Gefahr ist über Jahrmillionen ausgebildet worden und funktioniert auch heute noch prächtig. Auch wenn man nicht begründen kann, warum man jemanden nicht traut, sollte man trotzdem nicht mit jemanden spielen, wenn die innere Stimme nein sagt. Beide Formen des Vertrauens ergänzen sich und beide müssen vorhanden sein, bevor man sich einem anderen Menschen ausliefert.

Mangelndes Vertrauen kann auch auf einzelne Praktiken beschränkt sein, sprich, daß man als Bottom zwar das Gefühl hat, daß der Top ein hervorragender und sicherer Fesseler ist, aber man das Gefühl hat, seine Erfahrung mit Gerten würden nicht für gemeinsame Schlagspiele ausreichen. Ein Top sollte genügend Selbstkenntniss haben, daß er mangelnde Fähigkeiten einerseits einsieht und daran arbeitet, sie zu verbessern. In festen Beziehungen kann solcher "punktueller" Mangel an Vertrauen zu ernsten Konflikten führen. Manchmal muß man einfach akzeptieren, daß man einigen Bereichen nicht zusammen spielen kann.

Ein Top hat niemals das Recht, Vertrauen von einem Bottom zu verlagen. Vertrauen ist ein Geschenk des Bottoms, das sich der Top durch sein Verhalten, sein Wissen und seine Bereitschaft, Verantwortung für den Bottom zu übernehmen, verdienen muss.

Vorsicht mit Drogen und Alkohol

Ebenso wie die Grenzen und die Frage des Safeword sollten sich die Beteiligten über die Zulässigkeit von Drogen und Alkohol unterhalten haben. Für viele sind sie im sadomasochistischen Spiel vollkommen tabu. Andere lassen sie in Grenzen zu, bzw. beziehen sie (z.B. Poppers) mit ein. Wichtig ist, daß ein Konsens etabliert wird. Dieses Thema wird genauer unter Drogen besprochen.

Volltrunkenheit ist jedenfalls kein Zeichen von Männlichkeit oder besonderer Könnerschaft sondern ein Warnsignal.

In den meisten Fällen wird Mutter die folgenden Punkte nicht erwähnt haben:

Die Frage eines Safewords klären

Jeder der Partner hat das Recht, zu verlangen, daß ein Safeword ausgemacht wird. Dieses Safeword ist dann für beide verbindlich. Wird ohne Safeword gespielt, dann kann dies nicht von einem der Beteiligten "angeordnet" werden. Safewords können zur Steuerung der Intensität oder als Alarmsignal im Notfall verwendet werden, mehr dazu unter Slowword und Safeword selbst.

In grossen Teilen der sadomasochistischen Subkultur hat sich Mayday als das allgemein gültige Safeword durchgesetzt. Es gibt zwar beileibe keine Vorschrift, daß alle Sadomasochisten Mayday als Safeword benutzen müssen, es kann aber erwartet werden, daß es von allen als Safeword erkannt wird.

Fällt das Safeword, ist das Spiel sofort abzubrechen

Das Aussprechen des Safewords ist bis zum sicheren Beweis des Gegenteils immer als Zeichen für einen Notfall zu behandeln (siehe Notfälle). Das ändert sich dann und erst dann, wenn der Bottom in der Lage ist, den Grund für das Safeword klar und überzeugend mitzuteilen.

Der Top hat die Pflicht, das Safeword unter allen Umständen zu respektieren, auch wenn den Grund nicht einsieht und eigentlich der Meinung ist, der Bottom würde "sich anstellen". Diese Pflicht gilt nicht nur für den Top, sondern für alle Umstehenden.

Das stellt sicher, daß ein Bottom nicht befürchten musst, daß die Umstehenden durch Beschwichtigungen eines Tops, der Bottom "würde das nicht so meinen" oder "würde gleich darüber hinweg sein" sich davon abhalten lassen, in ein zerstörerisches Spiel einzugreifen.

Der Bottom hat die Pflicht, das Safeword nicht zu missbrauchen: Das Safeword ist für echte Notfälle reserviert. Um eine Rückkoppelung zu geben, ob das Spiel für den Bottom zu intensiv oder auf der anderen Seite zu lasch ist, können vor dem Spiel ein oder mehrere Slowwords ausgemacht werden.

Auch wenn es seltener ausdrücklich gesagt wird, hat auch der Top das Recht, zu jeder Zeit von dem Safeword Gebrauch zu machen, wenn er sich auch körperlichen oder seelischen Gründen ausserstande sieht, das Spiel weiterzuführen und dies dem Bottom mitteilen will ohne lange Erklärungen abzugeben.

Das Safeword kann als ein Mittel gesehen werden, daß dann greifen muss, wenn der nächste Punkt gescheitert ist:

Kommuniziere!

Die Pflicht, dem Partner mitzuteilen, was in einem vorgeht, liegt zum grössten Teil auf den Schultern des Bottoms. Sie wird grob in drei Teile geteilt: Kommunikation zwische Top und Bottom vor, während und nach eines Spiels.

Das Gespräch vor einem Spiel wird auch Absprache genannt, dort wird stärker auf die Details eingegangen. Während der Absprache teilt der Bottom seinem Top nicht nur mit, was er besonders anregend findet oder was ihm keinen Spass macht, sondern auch eventuelle medizinische. Hier kann auch ein Safeword vereinbart werden.

Während eines Spiels sollte der Bottom zumindest durch Körpersprache und Geräusche dem Top ein Möglichkeit zur Einschätzung geben, wie er sich fühlt. Bei einem Bottom, der völlig ohne Rückkopplung das Spiel über sich ergehen lässt, nimmt nicht nur dem Top die Freunde daran, sondern zerstört damit auch jede Früherkennung von Problemen und Gefähren. Auch ohne aus dem Spiel zu fallen kann ein Bottom klar machen, daß ihn der Arm einschläft oder der letzte Schlag für die Gegend zu fest war.

Nach einem Spiel ist es für beide Seiten hilfreich, wenn kurz besprochen wird, was besonders schön war, was daneben gegangen ist und was man nächstes Mal anders probieren könnte. Dies gibt Top und Bottom die Möglichkeit, für das nächste Spiel etwas dazu zu lernen - dass der Bottom wider Erwarten doch festere Schläge mag, dass die Art, wie der Top die Eiswürfel angewendet hat, besonders toll war, dass beide jetzt auf den Rohrstock neugierig sind.

Auf Notfälle vorbereitet sein!

Eine sicher vorbereites Spiel verlangt eine gewisse mentale Vorbereitung auf eventuelle Notfälle. Die Vorbeugung vor Notfällen werden dort näher besprochen und einzelne Probleme unter den einzelnen Praktiken. Die beste Vorbereitung kann nicht alle Eventualitäten abdecken. Daher muss man sich überlegen, wie man mit einem plötzlichen Absturz oder einer Verletzung umgeht. Dies kann helfen, Panik zu vermeiden, wenn es tatsächlich dazu kommt.

Literaturhinweise:

1 Innala, Sune M. / Ernulf, Kurt E.:
    Asphyxiophilia in Scandinavia  [Details]
2 Comfort, Alex:
    The Joy of Sex. A Cordon Bleu Guide to Lovemaking.  [Details]
3 Townsend, Larry:
    The Leatherman's Handbook  [Details]
4 Townsend, Larry:
    Das Lederhandbuch  [Details]
5 Grimme, Matthias T.J.:
    Das SM-Handbuch  [Details]

 

Auf diesen Eintrag verweisen: Absprache, Christentum, Fesselspiele, Kabelbinder, Karabiner, Kinder, Knebelspiele, Learning the Ropes, Leatherman's Handbook, The, Lippenlöffel, Medizin, Notfälle, Notfälle, Panikhaken, Prinzip, Schlagspiele, Schutzengel, Stäbchenpresse, Subkultur, Tape Gag, Vergewaltigung

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Stand: 21.02.2003.

 

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