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Der Papiertiger: Geschichte der O

 
   
   
   
   
   
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Geschichte des Sadomasochismus
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Der Papiertiger ist eine Enzyklopädie des Sadomasochismus, zusammengestellt von Datenschlag. Hier erklären wir Begriffe aus dem SM-Bereich und stellen sie in den Zusammenhang der sadomasochistischen Subkultur und ihrer Traditionen.



(1) Buch von Réage, Pauline1. Im Juni 1954 zum ersten Mal in Frankreich als Histoire d'O2 erschienen, erzählt es die Geschichte der freiwilligen Unterwerfung einer Frau, deren Namen nur mit "O" angeben wird. Das Buch gewann 1955 den französischen Literaturpreis "Deux Magots", der für neue und unkonventionelle Bücher vergeben wird. Seit JAHR steht es in Deutschland auf dem Index (siehe Literatur, indizierte).

Die Journalistin und Übersetzerin Dominique Aury (zu Identität und Pseudonymen siehe Réage, Pauline) schrieb das Buch mit Mitte Vierzig innerhalb von drei Monaten für ihren Geliebten, den damals fast siebzigjährigen Schriftsteller und Literaturkritiker Jean Paulhan. Ursprünglich war es nicht zur Veröffentlichung bestimmt gewesen. Sie wusste zwar, dass Paulhan sich für de Sade interessierte, hatte aber selbst nichts von de Sade gelesen, als sie die "Geschichte der O" schrieb. Zwei Verlage (Gallimard und Les Deux Rives) lehnten das Buch aus Angst vor einem Skandal auf, und erst der junge Verleger Pauvert, Jean-Jacques war bereit, die "Geschichte der O" zu veröffentlichen. Die Erstauflage betrug 600 Exemplare, von denen einige auf der Titelseite mit einer kleinen Lithographie des österreichischen Künstlers Hans Bellmer versehen sind. Das Manuskript wurde 1994 für etwa $100.000 (etwa 100.000€) an Nordmann, einen reichen Schweizer Sammler verkauft, der kurze Zeit vorher das Originalmanuskript der 120 Tage von Sodom erworben hatte. Nach seinem Tode verwandelte er testamentarisch seine Sammlung in eine Stiftung, die der Universität Genf angegliedert ist. Dort soll die Sammlung , nachdem sie wissenschaftlich aufbereitet wurde, Forschungszwecken zur Verfügung stehen.

In dem Buch wird O von ihrem Geliebten Rene nach Roissy gebracht, wo sie wie andere Frauen neben ihr durch ein ausgeklügeltes System von Folterungen, Erniedrigungen und Vergewaltigungen sich entsprechend seinen Wünschen zu einem gehorsamen und demütigen Spielzeug für Männer formen lässt. Nach ihrer Ausbildung kehrt sie mit ihm nach Hause zurück, wo Rene sie bald an seinen älteren Freund und Vaterfigur Sir Stephen übergibt. Die Figur "Sir Stephen" bezieht ihre Überlegenheit nicht zuletzt daraus, daß er O mit dem distanzierten "Sie" anredet. Er verlangt mit größerer Entschlossenheit als Rene ihre Unterwerfung, was dazu führt, daß O sich mehr zu ihm als zu Rene hingezogen fühlt. Sir Stephen lässt O in Samois, einer fortgeschrittenen Version von Roissy, die nur von Frauen geleitet wird, mit einem Branding (s. Eintr.: brandmarken) und mit Ringen durch die Schamlippen versehen.
Das Buch hat zwei verschiedene Enden, die nebeneinander gestellt werden; in dem einen wählt O mit der Erlaubnis von Sir Stephen den Freitod.

Die Figur der O beruht auf Odile, einer Freundin der Autorin. "Nach ein paar Seiten", schreibt Aury, "kam ich zu dem Schluss, dass ich der armen Odile das alles nicht antun konnte, also blieb ich beim Anfangsbuchstaben. Er hat nichts mit erotischem Symbolismus oder der Form des weiblichen Genitals zu tun." René ist "der Schatten einer Jugendliebe", Sir Stephen basiert auf einem Mann, den Aury kurz in einer Bar gesehen hatte.

Seinen Status als internationales Kultbuch des Sadomasochismus verdankt das Werk vermutlich der kompromisslosen Darstellung der O als Zentralfigur, ihre detaillierten inneren Monologe, Zweifel und Ängste, wie auch die genau beschriebenen Erniedrigungs- und Dressur-Methoden, denen sie unterworfen wird. Besonders Bottoms fällt es leicht, sich mit O zu identifizieren. Viele der Begriffe und Namen aus der Geschichte der O sind innerhalb der SM Subkultur zu finden, siehe neben den schon bemerkten Verweisen auch Ring der O, die Anrede Sir für Tops und das Musikzimmer. Die Menge an Sekundärliteratur, die sich auf dieses Buch bezieht oder dazu Stellung nimmt, ist überwältigend. Es existiert eine Art Fortsetzung, die Rückkehr nach Roissy3, die weder im Ton noch im Inhalt an das Original herankommt.

Daneben ist das Werk ein Prüfstein für die Zensur im jeweiligen Land. In Frankreich (Histoire d'O) und Teilen der USA (als Story of O) frei erhältlich, steht es in Deutschland als eigenständige Ausgabe auf dem Index. Eine gedruckte Ausgabe ist inzwischen allerdings auch hier wieder erhältlich als Die O hat mir erzählt4. Inzwischen wurde das Originalbuch zusammen mit der Fortsetzung wieder neu aufgelegt5.

Rechtliche Schritte der französischen Regierung gegen die "Geschichte der O" kamen schnell wieder zu einem Ende. Die Autorin erklärt (in6):

Eine Freundin, eine Ärztin, die seit Jahren meine Gynäkologin war, lebte mit einem Mann zusammen, der gerade Justizminister geworden war. Paulhan sagte: "Du musst sie bitten, ein Treffen zu arrangieren." Ich ging also hin und sagte ihr, dass ich gern den Minister sprechen wollte. Drei Tage später erhielt ich eine Einladung zum Lunch in Croissy, einem Vorort im Südwesten von Paris.
Das Haus war alt und hatte einen kleinen Garten. Am Ende des Gartens stand die Ruine einer Kapelle, in der Napoleon und Josephine geheiratet hatten. Wir setzten uns zum Lunch, neben mir der Governor (Ü?) der Bank von Frankreich, gegenüber der Justizminister und meine Freundin. Das Essen wurde serviert, und ich entsinne mich, dass es Huhn mit Zucchini gab. Es war recht ungewöhnlich, Huhn mit Zucchini zuzubereiten, aber es schmeckte ausgezeichnet. Dann standen wir auf und gingen in den Salon, um Kaffee zu trinken.
Ein paar andere Gäste verabschiedeten sich und ich stand auch auf, um zu gehen. Ich sagte: "Monsieur le Ministre, je vous remercie." Er sagte, er wolle mich noch zum Wagen bringen. Ich verabschiedete mich und er küsste mir die Hand. "Madame", sagte er, "es war mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen." Das war alles. Am nächsten Tag erließ er ein Rundschreiben, dass alle Verfahren gegen die Geschichte der O eingestellt werden sollten. Nach dem französischen Gesetz können nie wieder rechtliche Schritte eingeleitet werden, wenn ein Minister das tut. Das war's.
Cover der rororo Ausgabe mit Filmausschnitt

(2) Verfilmung des gleichnamigen Buchs durch Jäckin, Just. Entstanden 1975 in Frankreich, mit Corrine Clery (bekannt auch aus Moonraker), beeindrucken die aufwendigen Kulissen und recht attraktiven Darsteller. Auf der anderen Seite lassen sich Os inneren Monologe schlecht auf die Leinwand übertragen, was sie flach und unpersönlich erscheinen lässt; einige Handlungstränge und inbesondere das Ende sind radikal verändert worden; und die Züchtigungen sind schlecht gestellt. An der deutschen Synchronisation verwirrt die Tatsache, daß Sir Stephen auch während der grausamsten Behandnung von O sie immer noch mit Sie anredet. Trotzdem muß die Umsetzung als relativ gelungen angesehen werden, besonders verglichen mit anderen Versuchen, sadomasochistische Werke in Filme zu übersetzen, wie z.B. Perils of Gwendoline, siehe Gwendoline.

1990 wurde durch einen südamerikanischen Geldgeber eine Neuverfilmung der "O" ermöglicht, die April 2000 zunächst als fünfteilige DVD-Serie durch Galileo (Pro7) und im Juni auch auf Video herauskam.

Literaturhinweise:

1 Réage, Pauline:
    Geschichte der O  [Details]
2 Réage, Pauline:
    Histoire d'O  [Details]
3 Réage, Pauline:
    Rückkehr nach Roissy  [Details]
4 Deforges, Regine / Réage, Pauline:
    Die O hat mir erzählt. Hintergründe eines Bestsellers.  [Details]
5 Réage, Pauline:
    Geschichte der O und Rückkehr nach Roissy  [Details]
6 St. Jorre, John de:
    The Good Ship Venus: The Erotic Voyage of the Olympia Press  [Details]

 

Synonyme: Histoire d'O, Story of O

Auf diesen Eintrag verweisen: Codes, Crepax, Guido, Emblem Project, The, Internatsstellung, Japan, Legendenbildung, Literatur, Musikzimmer, O, Réage, Pauline, Ring der O, Roissy, Rückkehr nach Roissy, Samois, Schwarz, Sir, Sir Stephen, Striemenhose, Top, Zensur

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Stand: 01.12.2002.

 

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