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Die Datenschlag-Chronik des Sadomasochismus
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1900
Mit der "Lex Heinze", dem § 184a, wird es in Deutschland verboten, "Schriften, Abbildungen oder Darstellungen, welche, ohne unzüchtig zu sein, das Schamgefühl gröblich verletzen" an Jugendliche unter 16 Jahren weiterzugeben oder zu verkaufen.
Der Paragraph erweitert den Begriff "unzüchtig" des § 184 um eine noch vagere Formulierung.
(SS95, S. 15)
(BSB02)

9. Dezember 1902
Der Zeichner John Alexander Scott Coutts, besser bekannt unter seinem Künstlernamen John Willie, wird als Sohn eines reichen britischen Unternehmers in Singapur geboren
Coutts wächst in England auf und arbeitet später in Australien als Hilfsarbeiter und Schildermaler. Kontakt zur Fetisch-Subkultur nimmt er etwa 1932 auf, als er im australischen Sydney den McNaught-Schuhladen aufsucht. McNaught stellte hochhackige Fetisch-Schuhe her und veröffentlichte Fotografien und Anzeigen in "London Life". 1935 werden erstmals Zeichungen von Coutts in "London Life" veröffentlicht.
("The Complete Reprint of John Willie´s Bizarre", Taschen Verlag Köln 1995, S. 6)
(Rund, J.B. "Die Abenteuer der Sweet Gwendoline", Widder Press Frankfurt 1974, S. VI)
(Bie98, S. 86ff.)

22. Dezember 1902
Krafft-Ebing stirbt in Graz an den Folgen mehrerer Schlaganfälle.
(Kruntorad, Paul "Krafft-Ebing", in: "Psychopathia sexualis", Matthes & Seitz Verlag München 1993)

1903
Die 12. Ausgabe der "Psychopathia sexualis" wird veröffentlicht. Die letzte Ausgabe, an der Krafft-Ebing selbst mitgearbeitet hat, hat einen Umfang von 437 Seiten und versammelt 238 Fallbeispiele.
(Kra03)

1903
Der Jurastudent und Hauslehrer Andreas Dippold wird in Bayreuth für die mit dem Tod endende Misshandlung seines Schülers Heinz Koch zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt.
Daher rührt der Ausdruck "Dippoldismus", der in der deutschen medizinischen Literatur manchmal für das Prügeln von Kindern aus vermuteten sexuellen Motiven verwendet wird.
(Hir55, S. 362)

1903-1904
Magnus Hirschfeld beginnt seine statistischen Untersuchungen zur Homosexualität.
Schon bald muss er seine Befragung wegen rechtlicher Probleme wieder einstellen. Es ist das erste Mal, dass der Versuch unternommen wird, empirische Daten über das Sexualverhalten der Bevölkerung zu gewinnen.
(Hae92, Seite FEHLT)

2. Oktober 1904
Der britische Autor und Journalist Graham Greene wird in Berkhamsted (Großbritannien) geboren.
Greene führte eine sadomasochistische Beziehung mit Catherine Walston, von der er sich unter anderem mit Zigaretten verbrennen ließ. Sein Theaterstück "A House of Reputation" (ca. 1950) beschäftigt sich mit sadomasochistischen Themen.
("Was Graham Greene a masochist?" The Times, 14. September 2000, S. 11)
(Encyclopaedia Britannica)

1904
Iwan Bloch stellt unter dem Pseudonym Eugen Dühren in seinem Band "Neue Forschungen über den Marquis de Sade und seine Zeit" der Öffentlichkeit das Manuskript der "120 Tage von Sodom" vor, das lange Zeit als verschollen gegolten hatte. Bloch hatte das Manuskript bei einem französischen Antiquar entdeckt und erworben.
(Due04)

1905
Freud veröffentlicht seine "Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie". Sadismus und Masochismus werden als Krankheiten dargestellt, die aus einer fehlerhaften Entwicklung der kindlichen Psyche entstehen.
Die Psychoanalyse, eine Form der spekulativen Philosophie ohne empirische Basis, wird für die kommenden 60 Jahre zur dominierenden Theorie in der westlichen Psychiatrie.
(Fre05)
(Hae92)

1905
August Forel veröffentlicht "Die sexuelle Frage". Forel war Psychiater, Ameisenforscher, Verfechter von Sexualaufklärung und Empfängnisverhütung, aber auch Verfechter einer rassistischen Eugenik und Begründer der Zwangssterilisationen und Zwangskastrationen sogenannter "Minderwertiger" in der Schweiz. In "Die sexuelle Frage" behandelt er im Kapitel "Die sexuelle Pathologie" (S. 214-280) Sadismus, Masochismus und Fetischismus. "Mit Recht betont v. Krafft-Ebing, dass der Sadismus in der Regel, wenn nicht immer, angeboren ist. Er wird aber zuerst lange Zeit aus Motiven der Angst und der Ethik unterdrückt und kommt erst infolge der fortgesetzten, mangelhaften Befriedigung des Sexualtriebes durch den gewöhnlichen Beischlaf zum Durchbruch, was ihm den Schein des Erworbenseins gibt." (S. 240). "Der Masochismus ist wie der Sadismus ein erblich angeborener Trieb." (S. 242) Die Perversion des Masochismus "kann wie der Sadismus vollständig oder unvollständig sein. Ist sie vollständig, so ist der Betreffende psychisch impotent, d.h. zur normalen Begattung unfähig." (S. 241) "Ist der Masochismus beim Manne eine häufige Erscheinung, so tritt er beim Weibe mehr als Andeutung innerhalb der normalen Geschlechtsempfindung auf, weil er mit ihrer normalen passiven Rolle vielfach übereinstimmt. Das Weib mag den schwachen, unterwürfigen Mann nicht; sie will einen starken Herrn haben, an dem sie hinaufschauen kann. (...) Im übrigen sind ausgesprochene pathologische Formen des Masochismus beim Weibe sehr selten." (S. 244) "Der richtige Fetischist ist ein recht pathologischer Mensch. (...) Er liebt nur seinen Fetisch und durchaus nicht das Weib, dem er gehört." (S. 245). Forel beschließt diesen Abschnitt mit den Worten: "So schrecklich und absurd die bisher besprochenen Verirrungen des Sexualtriebes und seiner pathologischen Ausstrahlungen sind, so lassen sie sich doch noch alle aus seiner ursprünglich normalen Beziehung zum andern Geschlecht ableiten", was für die im Folgenden besprochene Homosexualität nicht zutreffe: "Ulrich und Seinesgleichen versuchten den absurden Beweis zu erbringen, dass die Urninge eine besondere normal-physiologische Art Menschen seien, und sie bemühten sich, dieser Art Liebe eine mit der normalen gleichberechtigte Anerkennung zu verschaffen. (...) So lächerlich auch diese Anschauung einem normal fühlenden und denkenden Menschen erscheinen muss, und so unhaltbar es ist, einen so absolut zwecklosen Geschlechtstrieb als normal erscheinen lassen zu wollen, so ist die Sache für das Fühlen der Urninge durchaus charakteristisch. Es ist höchst eigentümlich, dass Hirschfeld neuerdings die Urninge als Varietät der normalen Menschen gelten lassen will. Diese Anschauung ist unhaltbar ..." (S. 247f.) Zusammenfassend heißt es: "Wir müssen betonen, dass unter denjenigen sexuellen Perversitäten, die rein ererbt und angeboren sind, sehr viele Fälle bei durchaus anständigen, sogar bei hochbegabten und ethisch feinfühlenden Menschen vorkommen. Dieselben sind freilich fast immer auch sonst mehr oder weniger starke Psychopathen. Sie schämen und entsetzen sich aber in so hohem Grade über ihr sexuelles Gebrechen, dass sie oft vorziehen, es als ihr tiefes und schmerzliches Geheimnis ins Grab mitzunehmen, als sich auch nur einem Arzt anzuvertrauen. Andere eröffnen sich gelegentlich einem Arzt allein und da enthüllt sich nicht selten das Leben eines wahren Märtyrers und Dulders, der sich nach Tod sehnt und beständig an Selbstmord denkt." (S. 279f.)
Das Buch erlebt zahlreiche Neuausgaben, die verkauften Auflagen einschließlich einer gekürzten Volksausgabe gehen in die Hunderttausende.
(For05)

1906
Erste Veröffentlichung von Robert Musils Internatsroman "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" in Österreich.
Die sadomasochistischen Schilderungen des Buchs werden von der Literaturwissenschaft gern als Darstellung der Vergewaltigung des Einzelnen durch das System interpretiert.
(Musil, Robert: "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß", Wien u.a., Wiener Verlag 1906)

1906
Dr. Franz Schönenberger und W. Siegerts veröffentlichen den populären Ratgeber "Das Geschlechtsleben und seine Verirrungen. Was junge Leute davon wissen sollten und Eheleute wissen müßten." Enthalten ist eine Erklärung der "Algolagnie" "von einem Manne, der selbst daran leidet und die Sache genau zu analysieren sich bemüht hat".
(SS06)
(Forel, August: "Die sexuelle Frage", 8. Auflage, Reinhardt, München 1908, S. 262)

1906
Wanda von Sacher-Masoch veröffentlicht "Meine Lebensbeichte". In dieser Autobiographie distanziert sie sich von SM und gibt an, von Leopold von Sacher-Masoch dazu verführt worden zu sein. Auf das Buch folgt eine Kontroverse mit Leopold von Sacher-Masochs Herausgeber Schlichtegroll, der eine gegenteilige Einschätzung abgibt.
(Sac06)

23. September 1907
Geburt der französischen Schriftstellerin und Übersetzerin Anne Declos (alias Pauline Réage, alias Dominique Aury), Autorin der "Geschichte der O", in Rochefort-sur-Mer.
(WS+93)
("The Unmasking of O", John De St. Jorre, The New Yorker, 1. August 1994)

1907
Der französische Verlag Select Bibliothèque nimmt die Arbeit auf.
Select Bibliothèque war auf sadomasochistische und fetischistische Romane spezialisiert; eine Liste der Publikationen von 1937 listet 87 Romane auf. Diese Werke wurden in erster Linie über Yva Richard und Diana Slip vertrieben. Der Verlag existiert bis ca. 1939.
(Bie98, S. 63ff.)
(www.sonic.net/~patk/Select.htm)

1907
Iwan Bloch veröffentlicht "Das Sexualleben unserer Zeit in seinen Beziehungen zur modernen Kultur".
Er fordert in diesem Werk die Etablierung einer "Sexualwissenschaft" als eigenständiger Forschungsrichtung, die die Methoden und Einsichten der Natur- und der Geisteswissenschaften in sich vereinen soll.
(Blo07)
(Hae92)

1908
Der deutsche Sexualwissenschaftler Iwan Bloch beschreibt "die merkwürdige Tatsache, dass gerade Juristen, hohe Staatsbeamten und Richter ein unverhältnismäßig großes Kontingent zur masochistischen Klientel stellen, also Leute, denen in ihrer Lebensstellung eine gewisse Machtbefugnis eingeräumt ist, denen der Beruf eine strenge Amtsmiene aufzwingt. Gerade diese empfinden vielleicht die Betätigung masochistischer Neigungen als eine Art Befreiung vom konventionellen Drucke und der Maske des Berufs."
Wahrscheinlich erstes Auftauchen dieser Behauptung (eventuell auch bereits in früheren Auflagen), die bis ins 21. Jahrhundert häufig wiederholt wird. Verlässliche Zahlen darüber, ob bestimmte Berufsgruppen unter den Masochisten oder Sadomasochisten stärker vertreten sind, gibt es bisher (Stand 2002) nicht; die Vermutung liegt nahe, dass sich nur eine gut verdienende Klientel die Dienste gewerblicher Dominas leisten kann und sich Blochs These auf die Aussagen solcher Dominas stützt.
(Blo08)

1908
Magnus Hirschfeld gibt die "Zeitschrift für Sexualwissenschaft" heraus.
Diese erste deutschsprachige sexualwissenschaftliche Zeitschrift erscheint nur ein Jahr lang monatlich. Sie enthält nicht nur medizinische Beiträge, sondern Artikel von Autoren unterschiedlichster Fachrichtungen wie Anthropologen, Kriminologen, Philologen und Historikern.
(Hae92, Seite FEHLT)

10. April 1909
Algernon Charles Swinburne stirbt in Putney, London.
(Encyclopaedia Britannica)

28. Oktober 1909
Der britische Maler Francis Bacon wird in Dublin geboren.
Bacon war homosexueller Sadomasochist.
(Encyclopaedia Britannica)
(Quelle für die sexuelle Orientierung FEHLT)

1909
Apollinaire gibt eine sorgfältig edierte Auswahl der Werke De Sades heraus.
(Marquis de Sade "Die Hundertzwanzig Tage von Sodom", Orbis Verlag, München 1999, S. 575)

circa 1909
Der österreichische Schriftsteller Karl Kraus (1874-1936) schreibt: "Die Einteilung der Menschheit in Sadisten und Masochisten ist beinahe so töricht wie eine Einteilung in Esser und Verdauer. Von Abnormitäten muss man in jedem Falle absehen, es gibt ja auch Leute, die besser verdauen als essen und umgekehrt. Und so wird man, was den Masochismus und den Sadismus betrifft, getrost behaupten können, dass ein gesunder Mensch über beide Perversitäten verfügt. Hässlich an der Sache sind bloß die Worte, besonders entwürdigend jenes, das sich von dem deutschen Romanschriftsteller herleitet, und es ist schwer, sich von den Bezeichnungen nicht den Geschmack an den Dingen verderben zu lassen."
Von Karl Kraus sind diverse Äußerungen zum Thema SM überliefert.
(Zitiert nach: Kin30. Originalquelle fehlt, vermutlich "Sprüche und Widersprüche", 1909.)

1900-1909 - Veröffentlichungen ohne eigenen Eintrag
Siehe 1900-1909.

19. Dezember 1910
Der französische Autor Jean Genet wird in Paris geboren.
Genet war homosexueller Sadomasochist. In "Miracle de la rose" schildert er etwa das Glück, im Gefängnis von seinen Mitgefangenen bespien zu werden.
(Encyclopaedia Britannica)
(Ullerstam, Lars "Die sexuellen Minderheiten", Kala Verlag Krohn KG, Hamburg, S. 91f.)

1910
Der Staatsanwalt W. Ertel schreibt in "Ein Sklave - Aktenmäßige Darstellung eines Falles masochistischer Triebverirrung": "Während seine Herrin isst, liegt er auf dem Boden und schnappt gierig Abfälle auf, die sie ihm zuwirft; er verrichtet alle niedrigen Dienste und erledigt die Hausarbeit; fallweise dient er als Reittier, wobei er mit Zügel und Peitsche traktiert wird; auch Fersenstöße in die Flanken treiben ihn an. Und in dem Bericht über ihn sagt seine 'Herrin' etwas, was die ganze Tragik dieser Menschen bloßlegt: 'Z. tut das nur zeitweilig, dass er aus sich herausgeht, er ist manchmal sehr vernünftig. Es verkehrt kein anständiger Mensch mit ihm, sein Umgang, wobei er sich am wohlsten fühlt, sind Huren und sonst obskures Gesindel, das hat mir Z. selbst gesagt. Selbst die Leute, die ihn brauchen, gehen ihm auf der Straße aus dem Wege'".
(Ertel, W.: "Ein Sklave. Aktenmäßige Darstellung eines Falles masochistischer Triebverirrung", Privatdruck, 1910)

1910
Magnus Hirschfeld führt den Begriff "Transvestiten" ein, die damit zum ersten Mal von Homosexuellen unterschieden werden.
(Hae92, Seite FEHLT)
(Hir10)

1911
Irving Klaw wird geboren.
Irving Klaw war einer der erfolgreichsten US-amerikanischen Produzenten von SM- und Fetisch-Publikationen. Von 1933 bis 1937 Kürschner von Beruf, eröffnete er um 1938 einen Laden für Bücher und Fotografien und spezialisierte sich bald darauf ganz auf Fotografien. SM- und Fetisch-Motive tauchen dabei erst ab etwa 1947 auf. Von den späten 40er Jahren bis 1965 wird er vom "U.S. Postal Inspection Service" und dem FBI verfolgt und mehrere Male vor Gericht gebracht. Das von ihm gegründete Unternehmen heißt heute "Movie Star News".
(Bie98, S. 102ff.)

1911
Albert Eulenburg schreibt: "Wie leicht kann sich aus dem scheinbar harmlosen Gedankensadisten bei Gelegenheit ein bedenklicher Wirklichkeitsadist entpuppen - während umgekehrt dieser bei der Unmöglichkeit realer Befriedigung oder bei fortschreitendem Verfalle zum delirierenden Gedankensadisten herabsinkt."
Als Belege für seine These nennt Eulenburg den Roman "L'échelle" und de Sades Biographie. Dieser Glaube an eine mehr oder weniger zwangsläufige Entwicklung von sadistischen Phantasien hin zu nichteinvernehmlichen Taten hält sich in der Forschungsliteratur bis etwa in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts. (Vermutlich findet sich die These auch bereits in der Erstausgabe von 1902).
(Eul11)
(PN01)

1912
Der Jugendstilgrafiker Marquis Franz von Bayros malt als Teil seiner Serie "Bilder aus dem Boudoire der Madame CC" Darstellungen von Bondage und Wachsspielen.
Ein Jahr zuvor war er nach einem Sittenprozess wegen seiner Illustrationen zu Max Semneraus "Erzählungen vom Toilettentisch" aus Deutschland ausgewiesen worden.
(Agte, Rolf et al. "Das große Lexikon der Graphik: Künstler, Technik, Hinweise für Sammler. Westermann Verlag Braunschweig 1984, S. 118)

21. Februar 1913
Die Sexualwissenschaftler Iwan Bloch, Magnus Hirschfeld, Albert Eulenburg und andere Mediziner gründen in Berlin die Ärztliche Gesellschaft für Sexualwissenschaft und Eugenik.
Diese erste sexualwissenschaftliche Organisation hat 15 Gründungsmitglieder und wächst im Verlauf des ersten Jahres auf über 100 Mitglieder an. Sie steht auch Nichtmedizinern mit akademischem Grad offen. Ab 1914 gibt sie die (zweite) "Zeitschrift für Sexualwissenschaft" heraus. Nach Eulenburgs und Blochs Tod wird die Zeitschrift von Max Marcuse weiter herausgegeben und besteht bis 1932.
(Archiv für Sexualwissenschaft: www2.rz.hu-berlin.de/sexology/)

1913
In München erscheint unter dem Titel "Die Weiberherrschaft" eine zweibändige Abhandlung des Sexualwissenschaftlers Alfred Kind über die dominante Frau mit zahlreichen Illustrationen aus der privaten sittengeschichtlichen Sammlung von Eduard Fuchs.
1914 erscheint der erste, 1931 der zweite Ergänzungsband. Bereits Kind äußert sich sehr kritisch zu den Theorien Krafft-Ebings und seiner Nachfolger. Eduard Fuchs war Schriftsteller, Sammler, Historiker, Politiker und Mäzen; seine umfangreiche Kunstsammlung wird am 25. Oktober 1933 durch die Gestapo beschlagnahmt und zum Teil vernichtet. 1937/38 wird die Sammlung auf verschiedenen Auktionen zerschlagen. Eduard Fuchs stirbt am 26. Januar 1940 im Pariser Exil.
(Fuchs, Eduard / Kind, Alfred "Die Weiberherrschaft in der Geschichte der Menschheit", A. Langen, München 1913)

1913
Richard L. und seine Frau Nativa gründen in Paris die Firma "Yva Richard". Ursprünglich ein Unterwäscheversand, spezialisiert "Yva Richard" sich um 1923 auf selbstangefertigte Fetischfotografien, in den 30er Jahren kommen SM- und Fetischkleidung, Spielzeug und erotische Literatur hinzu. Die Geschäftsräume liegen von 1927 bis 1943 in der Rue Pillet-Will No. 9, 1943 schließt "Yva Richard" unter der nationalsozialistischen Besatzung.
(Bie98, S. 57ff.)

1913
Wenige Monate nach der Gründung der "Ärztlichen Gesellschaft für Sexualwissenschaft und Eugenik" gründet Albert Moll - ebenfalls in Berlin - die Konkurrenzorganisation Internationale Gesellschaft für Sexualforschung.
Die Gesellschaft richtet in der Folge internationale Kongresse aus und übernimmt später die Herausgabe der "Zeitschrift für Sexualwissenschaft" unter Max Marcuse.
(Archiv für Sexualwissenschaft: www2.rz.hu-berlin.de/sexology/)

1913
Der Wiener Psychoanalytiker Isaak Isidor Sadger verwendet in seinem Artikel "Über den sado-masochistischen Komplex" erstmals den zusammengesetzten Begriff "Sado-Masochismus". Seine Begründung lautet: "Der Leser wird finden, dass ich im folgenden immer nur von dem Komplexe spreche, statt, wie es üblich, aktive und passive Algolagnie getrennt zu behandeln. Der Grund liegt darin, dass beide fast immer vereint vorkommen. Man darf behaupten, wo Sadismus besteht, dort findet sich mindest in Einzelzügen auch stets Masochismus und vice versa. Höchstens, dass scheinbar isoliert noch eher der Masochismus auftritt als der Sadismus."
(Sad13, S.157)

3. Juli 1917
Albert Eulenburg stirbt.
(Quelle FEHLT)

9. Dezember 1918
Apollinaire stirbt in Paris.
(Apollinaire, Guillaume "Die Großtaten eines jungen Don Juan", Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1999)

1918
Von 1918 bis 1941 erscheint in Großbritannien das Fetischmagazin "London Life". 1941 wird das Londoner Büro von der deutschen Luftwaffe bombardiert und alle Unterlagen zerstört.
"London Life" gilt als eines der wichtigsten Fetischmagazine des 20. Jahrhunderts, war außer in Großbritannien in den USA, Kanada, Südafrika, Australien, Neuseeland, Malta, Ceylon, Indien und Frankreich erhältlich und veröffentlichte ab etwa 1923 eine ausgedehnte Korrespondenz über Korsette, hochhackige Schuhe, Piercing, Prügelstrafe, Gummifetischismus, Ponyspiele und ähnliche Themen. Zur gleichen Zeit war die Veröffentlichung sexualwissenschaftlicher Texte (z.B. der Arbeiten Havelock Ellis') in Großbritannien offiziell verboten. London Life bot einen weltweiten Anzeigenmarkt für Hersteller von Fetischkleidung und Anbieter erotischer Literatur und Fotografien. Die zur gleichen Zeit in Deutschland auch in der Subkultur bereits gebräuchliche medizinische Terminologie (Sadismus, Masochismus, Fetischismus) kommt in "London Life" so gut wie nicht vor; stattdessen werden Subkulturausdrücke wie "kinks" und "bizarre" gebraucht. Über 200 Ausgaben von "London Life" sind im "Kinsey Institute for Research in Sex, Gender and Reproduction" archiviert.
(Ste96, S. 51f.)
(Bie98, S. 42ff.)

1919
In der deutschen Nationalversammlung wird die Abschaffung der Zensur verfassungsmäßig verankert. Werke, die bestehende Gesetze verletzen, können allerdings immer noch vor Gericht gebracht werden, insbesondere wegen Unsittlichkeit, Unzucht, Gotteslästerung und Beleidigung.
(SS95, S. 15)

1910-1919 - Veröffentlichungen ohne eigenen Eintrag
Siehe 1910-1919.

31. Oktober 1920
Der Erotikfotograf Helmut Newton wird in Berlin geboren.
Nach seiner Ausreise aus Deutschland vor 1940 nimmt er die australische Staatsangehörigkeit an. Newton veröffentlicht eine Vielzahl von Bildern mit SM-Motiven. Sie werden später zum Aufhänger der Zensurkampagne "PorNO" von Alice Schwarzer.

1920
Touko Laaksonen ("Tom of Finland") wird geboren.
Der homosexuelle Laaksonen veröffentlicht zahlreiche SM-Zeichnungen.
(Bie98, S. 232)

19. November 1922
Iwan Bloch stirbt in Berlin.
Sein großangelegtes Projekt, das "Handbuch der gesamten Sexualwissenschaft in Einzeldarstellungen", von dem bis dahin drei Bände erschienen sind, bleibt unvollendet. Bloch wird auf dem Friedhof der jüdischen Gemeinde in Berlin beigesetzt.
(dtv Lexikon München 1999)
(Hae92, Seite FEHLT

ca. 1922
Der deutsche Künster Otto Dix malt das Bild "Sadisten gewidmet", das zwei Dominas in einem Folterkeller zeigt.
(Muthesius, Angelika (Hrsg.) "Erotik in der Kunst des 20. Jahrhunderts", Benedikt Taschen Verlag 1992, S. 191)

22. April 1923
In Nashville kommt Bettie Mae Page als zweites von sechs Kindern zur Welt.
Der Vorname des späteren Pin-Up-Modells wird auf ihrer Geburtsurkunde als "Betty" angegeben, sie selbst schreibt von der Schule an jedoch "Bettie".
(Foster, Richard "The Real Bettie Page. The Truth about the Queen of the Pinups". Citadel Press 1997, S. 9)

1923
Der Zeichner Gene Bilbrew wird geboren.
Der besser unter seinem Künstlernamen "ENEG" bekannte Afro-Amerikaner Bilbrew studiert an der School of Visual Arts in New York unter Burne Hogarth, dem Schöpfer des Tarzan-Comics. Dort lernt er Eric Stanton kennen und wird über ihn an Irving Klaw vermittelt, für den er ab 1951 arbeitet.
(Bie98, S. 110)

3. April 1924
Von Bayros stirbt in Wien.
(Agte, Rolf et al. "Das große Lexikon der Graphik: Künstler, Technik, Hinweise für Sammler. Westermann Verlag Braunschweig 1984, S. 118)

1924
Die Wiener Lehrerin und Domina Edith Kadivec (oft auch "Cadivec") wird nach einem aufsehenerregenden Gerichtsprozess wegen Sittenwidrigkeit zu sechs Jahrem schwerem Kerker verurteilt. In der Revision wird das Urteil auf 5 Jahre reduziert. Durch die Fürsprache einflussreicher Freunde wird Kadivec bereits nach einem Jahr, das sie im Frauenzuchthaus St. Pölten bei Wien absitzt, begnadigt.
Sie verfasst zwei häufig wiederaufgelegte Werke der Tagebuchliteratur: "Bekenntnisse und Erlebnisse" und "Eros, der Sinn meines Lebens". Beide stehen in Deutschland auf dem Index der BPjS. Zitat von einer englischsprachigen Website: "Thus, from my childhood, the rod entrenched itself deeply in my psychic life as the central point of my sweetest dreams, as the climax of all that I anticipated in the way of bliss, and for me it has remained the peerless and truest form of eroticism ..."
(Cad26)
(Wul29, S. 259-282)

1924
Die 17. Auflage der "Psychopathia sexualis" erscheint. Sie wird in sieben Sprachen übersetzt.
(Kruntorad, Paul "Krafft-Ebing", in: "Psychopathia sexualis", Matthes & Seitz Verlag München 1993)

14. Januar 1925
Der japanische Autor Yukio Mishima wird geboren.
Mishima erlebte seinen ersten Orgasmus im Alter von zwölf Jahren, als er ein Bild des gefesselten und von Pfeilen durchbohrten St. Sebastian betrachtete. Seine Fetische waren männliche Achselhaare, Schweiß und weiße Handschuhe. Sein größter erotischer Wunsch war es, auf möglichst blutige und schmerzhafte Weise zu sterben. 1970 schlitzte er sich nach dem alten Ritual des Seppuku - oder Harakiri - den Bauch auf und wurde dann von einem seiner Gefolgsleute geköpft, der sich daraufhin selbst tötete.
(Mishima, Yukio: 仮面 の 告白 (Kamen No Kokuhaku). Kawade Shobo, 1949.)
(Mishima, Yukio: Geständnis einer Maske. Rowohlt, Reinbek, 1964.)

30. September 1926
Der amerikanische Zeichner Eric Stanton wird in New York geboren.
Stanton wird zu einem der klassischen SM-Comiczeichner neben John Willie.
("Eric Stanton Taschen Diary 2000", Benedikt Taschen Verlag Köln 1999)

15. Oktober 1926
Der französische Philosoph und Sadomasochist Paul-Michael Foucault wird in Poitiers geboren.
(Miller, James "The Passion of Michael Foucault", Anchor Books 1993)

31. Oktober 1926
Houdini stirbt in Detroit.
(Cannell, J.C. "The Secrets of Houdini", Dover Publications New York 1973)

18. Dezember 1926
In Deutschland wird das "Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften" erlassen.
Nach diesem Gesetz sind Landeszentralbehörden und Landesjugendämter berechtigt, angeblich jugendgefährdende Schriften an Prüfstellen in München und Berlin zu senden, die über ihre Aufnahme in eine "Liste der Schund- und Schmutzschriften" entscheiden. Revisionsinstanz bildet eine Oberprüfstelle in Leipzig. Die indizierten Werke dürfen nicht an Jugendliche unter 18 Jahren verkauft und nicht öffentlich ausgestellt werden, wodurch sich auch für Erwachsene eine Zugangseinschränkung ergibt. Weil indizierte Schriften nur noch unter dem Ladentisch verkauft werden können, sind sie schwer vermarktbar, so dass eine Indizierung einem Verbot nahekommt. Nach einer Unterbrechung von 1940 bis 1953 entsprechen die deutschen Jugendschutzregelungen bis ins 21. Jahrhundert wieder weitgehend diesem Modell.
(BSB02, S. 60)

1926
Der französische Verleger Jean-Jacques Pauvert wird in Paris geboren.
Pauvert gibt später neben preisgekrönten De-Sade-Biographien und zahlreichen Werken De Sades auch die "Histoire d'O" von Réage heraus.
(Pau91)

1926
Der bayrische Schneider Johann Klepper entwickelt den Klepperbatist, einen gummiimprägnierten Stoff. Der aus diesem Material hergestellte Kleppermantel wird bald zum beliebten Fetisch.
Mit dem Verschwinden des gummierten Kleppermantelstoffs in den 70er Jahren stirbt auch der Kleppermantelfetischismus allmählich wieder aus. Der letzte Kleppermantel wird 1988 hergestellt.
("O" 18/1993, S. 50-55)

1926
Der Berliner Sozialist, Mediziner und Sexualpädagoge Max Hodann veröffentlicht die Aufklärungsschrift "Bub und Mädel. Gespräche unter Kameraden über die Geschlechterfrage", die sich an die proletarische Jugend wendet und auf Homosexualität, Sadomasochismus und Fetischismus eingeht.
"Wir sollten danach streben", heißt es bei Hodann, "in diesen Fällen zu jener Toleranz, jenem großzügigen Gewährenlassen persönlicher Eigenarten uns durchzuringen, wie es so bewundernswert ist bei den Engländern, die in aller Formsicherheit ihres Lebens doch jedem Menschen zugestehen, seine persönliche Note tragen zu dürfen." Hodann war - unter anderem wegen dieser Aufklärungsschrift - heftigen Anfeindungen seitens der Deutschen Volkspartei und der Deutschnationalen ausgesetzt. 1935 wird er ausgebürgert und begeht 1946 im Stockholmer Exil Selbstmord.
(Hod26, S. 128-133)

1926
Der erste Band von Magnus Hirschfelds Hauptwerk "Die Geschlechtskunde" erscheint; weitere vier Bände folgen bis 1930.
"Die Geschlechtskunde" fasst den bis dahin bekannten Stand der Wissenschaft zusammen und beeindruckt durch die Fülle ihrer Falldarstellungen und Abbildungen, die im Rahmen des Institutes für Sexualwissenschaft gesammelt worden waren. Ein großer Teil der Daten entstammte der Auswertung des von Hirschfeld entwickelten "Psychobiologischen Fragebogens".
(www.m-ww.de/persoenlichkeiten/hirschfeld.html)

1926
Der niederländische Gynäkologe Theodoor Hendrik van de Velde (1873-1937) veröffentlicht sein Hauptwerk "Die vollkommene Ehe".
Das Buch ist einer der ersten Sexualratgeber und für die damalige Zeit - etwa in der Behandlung des Oralverkehrs - relativ liberal. Zwischen 1926 und 1932 erschienen in Deutschland 42 Auflagen, bis das Buch mit der Machtergreifung der Nazis nicht mehr nachgedruckt wurde. Die 1930 erschienene englische Übersetzung "Ideal Marriage" wurde in 43 Auflagen etwa 700.000 Mal verkauft, die US-amerikanische seit 1945 über eine halbe Million Mal. Darin heißt es: "Wenn wir es gar nicht vermeiden können, irgendeine abnormale sexuelle Betätigung zu erwähnen, so werden wir sie nachdrücklich als solche kennzeichnen. Das wird aber nur selten nötig sein, weil wir doch, wie schon früher betont wurde, das Tor der Hölle, in der die sexuell Abnormen leiden, fest verschlossen halten wollen."
(Bre71)
(Vel26, S. 134 (zitiert nach der 19., vermutlich unveränderten Auflage))

1927
Dr. Alfred Kind stirbt.
(Bie98, S. 69)

1929
Der Reichstagsausschuß verabschiedet auf Betreiben des "Wissenschaftlich-humanitären Komitees" um Magnus Hirschfeld einen Entwurf für eine Strafrechtsreform, derzufolge freiwillige geschlechtliche Handlungen zwischen erwachsenen Männern kein Verbrechen mehr sein sollen. Die Kommunisten sichern dem Antrag eine knappe Mehrheit, doch bevor der Reichstag über den Gesetzesantrag entscheiden kann, führt der New Yorker Börsenkrach dazu, dass die Debatte auf unbestimmte Zeit verschoben wird.
Bis zur Umsetzung dieser Reform dauert es weitere 40 Jahre.
(Isherwood, Christopher "Christopher und die Seinen", Bruno Gmünder Verlag 1972, S. 24f.)

1929
Der französische Richter René Guyon beginnt in Thailand seine Studien über sexuelle Ethik.
Grundlage ist die Vorstellung, dass jeder das Recht auf eine freie Ausübung seiner Sexualität hat, solange die Rechte anderer nicht verletzt werden.
(Hae92)

ca. 1929
Der französische Verlag Librairie Générale nimmt die Arbeit auf.
Der Verlag existiert bis ca. 1934 und publiziert in erster Linie sadomasochistische und fetischistische Romane. "Librairie Artistique et Parisienne" scheint ebenfalls eine Reihe dieses Verlags (oder nur ein anderer Name für den Verlag) gewesen zu sein. In der "Librairie Générale" erscheinen zahlreiche Romane von Alan Mac Clyde, die zum Teil von "Carlo" illustriert sind, einem der wichtigsten europäischen SM- und Fetisch-Zeichner, der später Künstler wie Gene Bilbrew und Eric Stanton inspiriert.
(Bie98, S. 63ff.)

1920-1929 - Veröffentlichungen ohne eigenen Eintrag
Siehe 1920-1929.

1930
Die österreichische Ärztin und Psychoanalytikerin Helene Deutsch veröffentlicht in "Der feminine Masochismus und seine Beziehung zur Frigidität" ihre Ansicht, dass Masochismus, Narzissmus und Passivität die drei entscheidenden Tendenzen im Sexualleben einer Frau sind.
In ihrem zweibändigen Werk "Die Psychologie der Frau" baut sie 1944 und 1945 diese zunächst einflussreichen Überlegungen aus. Feministinnen brauchen mehrere Jahrzehnte, um den derart entschlossen vorgetragenen Glauben der Psychoanalyse an einen natürlichen sexuellen Masochismus der Frau zurückzudrängen.
(Ben92, S. 123)
(Roazen, Paul "Sigmund Freud und sein Kreis. Eine biographische Geschichte der Psychoanalyse". Pawlak Verlag Herrsching 1976)

1930
Der österreichische Psychiater Alfred Adler schreibt: "Die Ausartungen des Sado-Masochismus gehören wohl zu den scheußlichsten Verirrungen. Und nur die ärztliche Pflicht vermag es, über den Ekel hinwegzukommen und gerecht und objektiv zu bleiben bei der Anhörung der oft widerlichsten Situationen, die der Menschengeist ersinnen konnte."
(Adl30)

1930
Der deutsche Psychoanalytiker Erich Fromm veröffentlicht seine "Studien über Autorität und Familie". In "Der autoritär-masochistische Charakter" stellt Fromm Masochismus als "Sonderfall einer viel allgemeineren seelischen Haltung" dar. Masochismus sei dabei immer mit Sadismus verbunden. Masochismus mildere so Ängste durch Anlehnung an eine größere Macht und das "Aufgehen" in dieser Macht. In der autoritären Gesellschaft werde die sadomasochistische Charakterstruktur durch die ökonomische Struktur erzeugt. Eine solche sadomasochistische Haltung sei erst in einer Gesellschaft, die selbst frei von Widersprüchen ist, überwindbar. Darüber hinaus gehe "Sado-Masochismus gewöhnlich mit einer relativen Schwäche der heterosexuellen Genitalität" einher, die "sadomasochistische Triebstruktur" hänge mit der Homosexualität auf noch ungeklärte Weise zusammen.
Obwohl es auf keiner empirischen Grundlage fußt, erfreut sich dieses Erklärungsmodell insbesondere in linken Kreisen noch bis ins 21. Jahrhundert großer Beliebtheit.
(Fromm, Erich: "Studien über Autorität und Familie", 1936)

1930
Der österreichische Psychiater Alfred Adler stellt die Theorie auf, zu Fußfetischisten würden diejenigen, die in ihrer Babyzeit an ihrem großen Zeh lutschten.
(Hir55, S. 548)
(Im Original vermutlich in: Adl30)

In den 30er Jahren
Der Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld vertritt die Ansicht, "dass der Sadismus eine übertriebene Form einer normalen männlichen Eigenschaft darstellt, während der Masochismus eine übertriebene Form der normalen weiblichen Eigenschaft ist, und in der Tat kommt echter Sadismus nur bei Männern, und echter Masochismus nur bei Frauen vor. Weibliche Sadisten und männliche Masochisten bezeichnen wir als Metatropisten.
(Hir55, S. 304)

In den 30er Jahren
Der Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld stellt, ausgehend von Binets Theorie vom "accident agissant sur un sujet prédispose" (dem auf ein prädisponiertes Subjekt wirkenden Zufall) die These auf, dass "bestimmte feststehende Arten von Ereignissen Fetischismus erzeugen können, und dass es nicht eine allgemeine nervöse Überempfindlichkeit, sondern eine spezifische psychische Struktur ist, die die prädisponierende Ursache im physiologischen Sinne ausmacht. Das Individuum reagiert nur mit der nötigen Stärke und Dauer auf äußere Ereignisse, wenn diese innerlich zu ihm 'passen'."
(Hir55, S. 548ff.)

28. November 1931
Der Graphiker Jean Thomas Ungerer, besser bekannt als Tomi Ungerer, wird in Straßburg geboren.
Ungerers Arbeiten für Erwachsene enthalten eine große Zahl von SM-Zeichnungen. 1986 schreibt und illustriert er ein Buch über Dominas.
(Agte, Rolf et al. "Das große Lexikon der Graphik: Künstler, Technik, Hinweise für Sammler. Westermann Verlag Braunschweig 1984, S. 416)

6. Mai 1933
Die Nazis verwüsten das von Magnus Hirschfeld gegründete Institut für Sexualwissenschaft in Berlin. Ein Teil der 12.000 Bände umfassenden Fachbibliothek wird am 11. Mai 1933 auf dem Opernplatz öffentlich verbrannt.
Unter den Exponaten des Instituts waren "Peitschen, Ketten und Folterwerkzeuge, die für praktizierende Schmerzliebhaber bestimmt waren". Obwohl ein Teil des Materials wohl schon vorher in Sicherheit gebracht worden war, müssen die Bibliothek und die unersetzlichen Sammlungen und Archive des Instituts nach langjähriger Recherche als verloren gelten. Hirschfelds Versuch, im Pariser Exil ein neues, kleineres Institut aufzubauen, scheitert.
(Hae92)
(Isherwood, Christopher "Christopher und die Seinen", Bruno Gmünder Verlag 1972, S. 21f.)
(me.in-berlin.de/~hirschfeld/wash_dt.html)

15. Juli 1933
Der italienische Architekt und Comiczeichner Guido Crepax wird in Mailand geboren.
Beeinflusst von John Willie setzt er später "Justine" und in mehreren Teilen die "Geschichte der O" in Comic-Form um. Zwischen 1981 und 1984 werden insgesamt 9 Bände seines Werks von der BPjS indiziert.
(Crepax, Guido "Justine and The Story of O", Evergreen Verlag / Taschen Köln 2000, S. 8)
(BPjS93, S. 10)

1933
Der französische Sade-Biograph Maurice Heine findet die Prozessakten zum Fall Rose Keller.
(QUELLE FEHLT)

April 1935
Das Schmutz- und Schund-Gesetz von 1926 wird aufgehoben.
In der von Hitler und Goebbels unterzeichneten Begründung heißt es: "Der nationalsozialistische Staat besitzt im Kampf gegen schädliche Schriften jeder Art, nicht allein um die Jugend, sondern um das gesamte Volk vor diesen zu schützen, im Reichskulturkammergesetz und in den auf ihm beruhenden Einrichtungen der Reichsschrifttumskammer ein weit wirksameres Mittel, als es der liberale Staat in seinen Prüfstellen hatte."
(BSB02, S. 63)

14. Mai 1935
Hirschfeld stirbt im Exil in Nizza.
("Der Tatsachenkopf", tazmag 18./19. März 2000, S. VII)

1. September 1935
In Deutschland tritt der verschärfte § 175 in Kraft. Unzucht mit Tieren wird in einem eigenen § 175 b unter Strafe gestellt. Mit der Einführung des § 175 a, der sich auf die Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses, homosexuelle Handlungen mit Personen unter 21 Jahren und männliche Prostitution bezieht, werden Zuchthausstrafen bis zu zehn Jahren möglich. Der Begriff der "beischlafähnlichen Handlungen" wird erweitert und die gegenseitige Onanie in den gesetzlichen Tatbestand einbezogen.
Die Verurteilungsziffern steigen rasch auf über 8000 jährlich. Nach dem Krieg wird dieser Paragraph zum Bundesrecht.
(www.uni-wuerzburg.de/rechtsphilosophie/glaw/bv006389.html)
(www.gayshow.de/wissen/geschichte4.htm)

1935
Maurice Heine ediert das Manuskript der "120 Tage von Sodom" in mehrjähriger Arbeit neu und gibt eine kritische Ausgabe heraus.
(Marquis de Sade "Die Hundertzwanzig Tage von Sodom", Orbis Verlag, München 1999, S. 575)

1936
Die US-Hausfrau Dorothy Spencer veröffentlicht einen Plan, um Ehen durch gegenseitige, einvernehmliche Züchtigungen zu verbessern.
Ob es sich dabei um eine Parodie, eine pornographische Veröffentlichung oder einen ernstgemeinten Plan handelt, ist uns unbekannt.
(Spencer, Dorothy "The Spencer Spanking Plan", in Anthony, Eduard "Thy Rod and Staff", Abacus 1995 S. 129)

1938
Der amerikanische Insektenforscher Alfred C. Kinsey beginnt die erste große empirische Untersuchung zum menschlichen Sexualverhalten, in deren Verlauf er 12.000 Interviews führt.
(Hae92)

1938
Die nationalsozialistische Regierung Deutschlands setzt sämtliche Schriften von Ernst Schertel und Alfred Kind sowie alle Werke aus dem Parthenon Verlag auf die "Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums".
Eventuell ist das bereits früher geschehen; uns liegen keine Angaben über frühere Versionen dieser Liste vor. Deutsche Autoren und Verleger sadomasochistischen und fetischistischen Materials stellen bis Mitte der 30er Jahre ihre Produktion in Deutschland ein und schaffen ihr Material teilweise in die Vereinigten Staaten sowie eventuell auch nach Großbritannien. Zum Teil stehen diese Werke in Deutschland heute noch auf dem Index der BPjS.
(Bie98, S. 70)
(Reichsschrifttumskammer "Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums", 1938, S. 71, 127, 177)

8. Juli 1939
Havelock Ellis stirbt in Washbrook, Suffolk (Großbritannien).
(Encyclopaedia Britannica)

22. September 1939
Der an Krebs erkrankte Freud erhält in London eine tödliche Überdosis Morphin als aktive ärztliche Sterbehilfe.
(Roazen, Paul "Sigmund Freud und sein Kreis", Gustav Lübbe Verlag 1976)

Zweiter Weltkrieg
In den Bordellen der deutschen Wehrmacht ist der Besitz und Gebrauch von sadomasochistischen Instrumenten streng verboten.
(Maiwald, Stefan und Mischler Gerd "Sexualität unter dem Hakenkreuz. Manipulation und Vernichtung der Intimsphäre im NS-Staat". Europa Verlag Hamburg 1999, S. 194)

1930-1939 - Veröffentlichungen ohne eigenen Eintrag
Siehe 1930-1939.

1940
Der Masochist und Psychoanalytiker Theodor Reik veröffentlicht sein Hauptwerk "Durch Leiden Freuden".
Reik prägt den Begriff des "sozialen Masochismus". Seiner Meinung nach stellt der Masochismus eine Entwicklungsphase im Leben aller dar, die dazu beiträgt, aggressive und antisoziale Triebe unter Kontrolle zu bringen.
(Rei40a)

3. April 1942
Anthony DeBlase wird in den USA geboren.
DeBlase gründete die BDSM-Zeitschrift "SandMutopian Guardian" und ist der Erfinder der Leather Pride Flag. Er arbeitete mit dem Leather Archives & Museum in Chicago zusammen an der Leather History Timeline, einer der ersten Chroniken des Sadomasochismus.
(Schlagworte 22. Juli 2000)

1942
Der deutsche Psychoanalytiker Erich Fromm stellt in seinem Buch "Fear of Freedom" (dt. 1945 "Die Furcht vor der Freiheit") die These von SM als Symptom einer gesellschaftlichen Krankheit auf: Der Unfähigkeit des Menschen, in Freiheit zu leben.
(Fro42)
(Fro45)
(Schlagworte, 24. November 1999)

1943
Der französische Existentialist Jean-Paul Sartre veröffentlicht in Paris sein Hauptwerk "L'être et le néant. Essai d'ontologie phénoménologique" (dt. "Das Sein und das Nichts"). Aus theoretischen Überlegungen leitet er die Vorstellung von Masochisten als Männer ab, deren "Laster" sie eine "Liebe zum Scheitern" empfinden lässt, weswegen sie in Beziehungen schließlich das Scheitern als Hauptziel suchen. Den Sadismus nennt er "Kälte" und "Scheitern der Begierde" von Menschen, die ihr eigenes Fleisch zurückweisen. Der Sinn und Zweck des Sadismus - die Freiheit des Anderen zu unterwerfen - bricht zusammen, wenn das "Opfer" dem Sadisten in die Augen schaut. Beide Neigungen seien eine "Übernahme von Schuld".
Sartres Philosophie wird von einer ganzen Generation von linken Intellektuellen zum Dogma erhoben. Sexualwissenschaftler wie der Deutsche Hans Giese nehmen Sartres Thesen zu Sadismus und Masochismus als gleichwertig zu wissenschaftlichen Studien in ihre Lehrtexte auf. Die Vorstellung von Schuldgefühlen als Ursprung des Sadomasochismus hält sich bis ins 21. Jahrhundert.
(Sartre, Jean-Paul "Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie." Rowohlt Verlag Hamburg 1993, S. 638-719)

7. August 1945
Die US-amerikanische SM-Aktivistin Cynthia Ann Slater wird geboren.
Slater begründet zusammen mit Larry Olsen 1974 eine der ersten SM-Organisationen der USA, die "Society of Janus" in San Francisco.
(Quelle fehlt)

4. November 1946
Der US-amerikanische Photograph Robert Mapplethorpe wird in New York geboren.
Mapplethorpes Themen waren Blumen, Prominente und männliche Akte. Letztere wurden wegen der explizit homoerotischen und sadomasochistischen Motive zum Gegenstand heftiger Kontroversen.
(Encyclopaedia Britannica)

1946
Das erste Heft des von John Willie herausgegebenen Bondage-Magazins "Bizarre" erscheint. Es trägt die Heftnummer 2, die Auflage beträgt etwa 5000 Exemplare und der Preis liegt bei 25 US-Cents.
Willie hatte bereits 1939 die Fahnen für Heft 1 bei einem Londoner Drucker eingereicht, wo sie während des Kriegs anscheinend verloren gingen. Für #2 rekonstruierte er diese Fahnen aus dem Gedächtnis. In 26 Bizarre-Bänden auf insgesamt etwa 1.600 Seiten entstehen bis 1959 Figuren wie "Sweet Gwendoline", die großen Einfluss auf die spätere heterosexuelle Subkultur haben. Die Bände enthalten eine Vielzahl von Leserbriefen, in denen Themen wie Bondage, Fetischismus und Dominanzspiele besprochen werden. Heft 1 erscheint erst 1954 nach Heft 13.
("The Complete Reprint of John Willie´s Bizarre", Taschen Verlag Köln 1995, S. 10)
(Bie98, S. 95ff. und passim)

1948
Dr. Alfred Kinsey veröffentlicht den ersten Teil seiner Studie als "Sexual Behaviour in the Human Male" (deutsche Ausgabe 1955). Die Daten beruhen auf ausführlichen Interviews mit 5300 Männern.
Die Angaben über die Verbreitung von homosexuellem Verhalten in der Allgemeinbevölkerung rufen eine Welle der Empörung hervor. Sadismus und Masochismus werden einige Male ohne moralischen Kommentar erwähnt, statistische Angaben finden sich aber nicht.
(KPM48)

1948
In der 6. Ausgabe der "International Classification of Diseases" (ICD-6) taucht erstmals die Kategorie "Sexual deviation" (Sexuelle Abweichung) auf.
(WHO48)

ab 1948
Jean-Jacques Pauvert gibt im eigenen Verlag, den "Editions Jean-Jacques Pauvert", diverse Werke von de Sade heraus und macht sie damit erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich: "Histoire de Juliette" (1948), "Les Crimes de l'amour" (1953), "La Nouvelle Justine" (1953), "La Philosophie dans le boudoir" (1953).
Gegen ihn werden deswegen in Frankreich mehrere Verfahren eingeleitet, die er 1957 in dem Buch "L'affaire Sade" dokumentiert.
(Pau91, Band I, S. 16)

1949
Dr. Alfred Kinsey interviewt den homosexuellen Sadomasochisten Samuel M. Steward. Steward hatte sich von einem Sattler einige SM-Werkzeuge anfertigen lassen, von denen Kinsey Duplikate für sein Institut erbittet. Im Mai 1949 arrangiert und filmt Kinsey ein Zusammentreffen Stewards mit dem dominanten New Yorker Zeichner und Mike Miksche.
(Ste91)

1940-1949 - Veröffentlichungen ohne eigenen Eintrag
Siehe 1940-1949.


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